DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien
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ezeichnet, so durchschaut das Erzähler-Ich diese Oberflächlichkeit doch sofort und erkennt<br />
„hinter seiner zur Schau getragenen Gutmütigkeit einen widerlichen Mensch[en]“ (Ur* 105),<br />
der „mit dem Präfekten sehr gut zusammengearbeitet“ (Ur* 106) hat. Gemeinsam konnten sie<br />
daher „ihr katholisches Schreckensregiment in der Schrannengasse“ so führen, „wie der<br />
Grünkranz sein nationalsozialistisches“ (Ur* 106).<br />
Auf subtile Art und Weise wird somit das gemeinsame Machtgefüge nationalsozialistischer<br />
und katholischer Herrschaft inszeniert. Die Struktur ist kongruent, die agierenden Machthaber<br />
sind austauschbar.<br />
Das autobiographische Ich erinnert sich noch an weitere Gemeinsamkeiten zwischen den<br />
Führerfiguren Grünkranz und Präfekt: ihr sadistischer Charakter (Ur 95), die Erziehungs- und<br />
Züchtigungsmethoden (Ur 96), die Verbreitung von Furcht und Hass unter den Zöglingen (Ur<br />
87), ja sogar die Körperhaltung (Ur 97). Katholische Werte oder Eigenschaften sind in der<br />
Beschreibung des Präfekten getilgt, er ist „Nationalsozialist und Katholik in einem“ (Ur 104),<br />
„und dieser gestochen Deutsch sprechende Präfekt hatte auf katholische Weise das Erbe des<br />
nationalsozialistischen Grünkranz angetreten“ (Ur 87). Es scheint, als lebe der Geist des SA-<br />
Mannes in dem katholischen Würdenträger weiter:<br />
In dem Präfekten habe ich tatsächlich immer den Geist, und zwar den vollkommen<br />
unbeschädigten Geist des Grünkranz gesehen, der Grünkranz war von der<br />
Nachkriegsbildfläche verschwunden, wahrscheinlich eingesperrt, ich weiß es nicht, aber in<br />
dem Präfekten war er mir immer gegenwärtig gewesen, [...] beinahe alles an und<br />
wahrscheinlich auch in dem Menschen, der, diese Vermutung ist wahrscheinlich die<br />
Wahrheit, ein durch und durch unglücklicher Mensch gewesen war wie der Grünkranz. (Ur<br />
97)<br />
Über diese Tatsache können auch die Unterschiede in der äußeren Uniformierung nicht<br />
hinwegtäuschen: der schwarze statt des braunen Rocks, die „schwarzen Stiefeletten der<br />
Geistlichkeit“ statt der Offiziersstiefel, der Papierkragen statt der glänzenden Schulterbänder<br />
(Ur 96) – es sind lediglich oberflächliche Details, die auf die scheinbar neue ideologische<br />
Ordnung hinweisen. So wie nationalsozialistische und katholische Strukturen „chronologisch<br />
aufeinandergefolgt sind“ 270 , so gaben sich auch Grünkranz und Präfekt als deren<br />
Personifikationen die Klinke in die Hand. So wie der Nationalsozialismus in Österreich auch<br />
noch nach 1945 politisch und mental nachwirkte 271 , so zeigen sich auch im Präfekten noch<br />
270 Mittermayer, Manfred: Thomas Bernhard. Stuttgart: Metzler 1995. (Realien zur Literatur 291), S. 85.<br />
271 Vgl. ebd., S. 81.<br />
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