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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Tuberkulosekranker, die „wie in einem heiligen Stolze verletzt“ (Kä 8) und „mit einer<br />

perfiden Feierlichkeit“ (Kä 8) ihren infektiösen Auswurf in die da<strong>für</strong> vorgesehenen Behälter<br />

speien, wodurch der Umzug neben dem „Schlurfen der Filzpantoffeln“ (Kä 8) auch „von<br />

diesem feierlichen Ziehen an Dutzenden und Aberdutzenden von zerfressenen Lungenflügeln“<br />

(Kä 8) akustisch untermalt wird – somit entsteht auch auf der klanglichen Ebene ein<br />

Gegensatzpaar. Die gemeinhin katholische Prozessionen begleitende Blasmusikkapelle<br />

verhallt in den „hohen kalten Gängen“ (Kä 7) der Lungenheilanstalt.<br />

Die prunkvolle Monstranz, die die Hostie umschließt, wird schließlich zu einer<br />

Glasspuckflasche demystifiziert. Während im katholischen Ritus die Monstranz dazu dient,<br />

die Hostie – also den Leib Christi – <strong>für</strong> die Gläubigen sichtbar zu machen, beinhaltet das als<br />

Monstranz bezeichnete Gefäß bei Bernhard einzig und allein das ansteckende Sputum der<br />

Tuberkulosekranken.<br />

Das grundlegende Schema einer Fronleichnamsprozession – der feierliche, fast kultische<br />

Umzug, das bedächtige Fortbewegen der Beteiligten (wie es ja auch der ursprünglichen<br />

Wortbedeutung eingeschrieben ist), der hohe Stellenwert der Monstranz – bleibt hier zwar<br />

bestehen, wird aber aus seinem gewohnten, heiligen Kontext gelöst und das gängige Bild<br />

dadurch verfremdet. Bernhard greift wissentlich auf Bilder und Elemente aus dem<br />

katholischen Sprachschatz zurück, um die Umstände in der Lungenheilanstalt zu beschreiben,<br />

er bedient sich bewusst des Vergleichs der Prozession. Einerseits erreicht er damit eine<br />

intensivere, gleichzeitig beklemmende Dimension der beschriebenen Handlung, andererseits<br />

zerschlägt er im selben Moment den Mythos der katholischen Fronleichnamsprozession. Wird<br />

das liturgische Geschehen bei Bernhard sonst offensiv als scheinheiliges Schauspiel entlarvt<br />

und verurteilt, so gelingt ihm hier eine subtilere Art der Verunglimpfung, da hier allein durch<br />

das Mittel der Verfremdung dem katholischen Ritus jeglicher Glanz genommen wird.<br />

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