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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Wenn den Schwestern ein Sterbender mit seinem Sterben zuvorgekommen war […], war es<br />

ihnen nur selbstverständlich gewesen, daß sie kurz darauf den Krankenhausgeistlichen<br />

hereinholten, damit er, wenn schon nicht mehr an dem noch Lebenden, so doch an dem<br />

schon Toten die Letzte Ölung vollziehen konnte. (At 33)<br />

Die „Letzte Ölung“ gestaltet sich hier <strong>für</strong> das geistliche Personal als unbedingte<br />

Voraussetzung und oberste Priorität, auf die „unter allen Umständen eine größere<br />

Aufmerksamkeit gelegt [wurde] als auf alles andere“ (At 34). Aus ihrer Obhut wurde niemand<br />

– egal ob noch lebendig oder bereits tot – ohne Salbung entlassen, „[k]ein Toter hat ohne<br />

diesen geistlichen Beistand das Sterbezimmer verlassen dürfen, darauf haben die Schwestern,<br />

Vinzentinerinnen, wie auf nichts sonst geachtet.“ (At 34)<br />

Josef Mautner erkennt in dieser Haltung jedoch nicht Fürsorge um das Seelenheil der<br />

Patienten, sondern sieht in der Beschreibung der Krankensalbung eine „gedankenlose[]<br />

Abschiebung von leidenden und sterbenden Menschen in eine endgültige Zone des Todes“ 204<br />

impliziert. Die Art und Weise wie die „Letzte Ölung“ vollzogen wird, hat verheerende<br />

Auswirkungen auf die Patienten, die hier nicht aufgebaut, sondern abgeschoben werden.<br />

Elend und Tod werden hier lediglich in „ritualisierte[r] Form“ verdrängt, die davon<br />

Betroffenen letzten Endes verachtet. 205<br />

Der später an anderen Patienten beobachtete Vollzug der Krankensalbung wird vom Erzähler-<br />

Ich als perfide, geschmacklose Show entlarvt, als abgekarteter und automatisierter Prozess.<br />

Die Auftritte des praktizierenden Geistlichen werden demnach auch als kaum erträgliche<br />

„pervers katholische Schmierendarstellung“ (At 35) abgeurteilt. Die <strong>für</strong> die Ölung<br />

notwendigen Utensilien trägt der Geistliche in einem<br />

kleinen, schwarzen, silberbeschlagenen Koffer bei sich, den er sofort, nachdem er<br />

hereingekommen war, auf dem von den Schwestern mit unglaublicher Geschwindigkeit<br />

freigemachten Nachtkästchen des gerade Gestorbenen abstellte. Der Geistliche brauchte<br />

nur an zwei Seitenknöpfen des Koffers zu drücken, und der Koffer öffnete sich, indem der<br />

Deckel emporschnellte. Im Emporschnellen des Deckels waren automatisch zwei<br />

Kerzenleuchter mit Kerzen und ein Christuskreuz aus Silber in senkrechte Stellung<br />

gebracht. Jetzt wurden die Kerzen von den Schwestern angezündet, und der Geistliche<br />

konnte mit seinem Zeremoniell beginnen. (At 33-34)<br />

Die hier beschriebenen Vorbereitungen zur eigentlichen Salbung erscheinen ebenso<br />

abgestumpft wie taktlos. Der Geistliche – erneut nicht zum Kranken-, sondern bereits zum<br />

204 Mautner, Josef: Nichts Endgültiges, S. 101.<br />

205 Vgl. ebd.<br />

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