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DIPLOMARBEIT - Institut für Germanistik - Universität Wien

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Da Autobiographie gemäß ihrer Wortherkunft die Beschreibung des Lebens eines Menschen<br />

durch diesen selbst 57 meint, schließt sich hier bereits das nächste Problemfeld an:<br />

Autobiographisches Schreiben ist durch den Faktor der menschlichen Erinnerung konstituiert,<br />

deren Zuverlässigkeit immer wieder neu zu diskutieren ist. Hier schließt sich also eine<br />

Debatte um Authentizität, Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Fiktionalisierung und Stilisierung an, der<br />

Hans Rudolf Picard folgende Aussage entgegensetzte: „Autobiographie [sei] keine<br />

Dokumentation, sondern erinnernde Neuschöpfung.“ 58 Auch <strong>für</strong> Roy Pascal ist<br />

Autobiographie nicht einfach „Rekonstruktion der Vergangenheit [...], sondern<br />

Interpretation“ 59 . Dieser Ansatz deckt sich auch mit dem Verständnis von autobiographischem<br />

Schrifttum, das dieser Arbeit zugrunde liegt: Autobiographie wird hier als literarisches<br />

Kunstwerk begriffen und nicht als verbale Photographie vergangener Lebensabschnitte.<br />

Lücken, Unter- und Übertreibungen, Ergänzungen etc. sind – auch wenn sie dezidiert<br />

nachgewiesen werden können und damit die Glaubwürdigkeit des Berichts schmälern<br />

müssten – nicht als Mankos anzusehen, sondern als Phänomene des Erinnerungsprozesses zu<br />

akzeptieren. Möglicherweise geben sie einer Interpretation sogar reizvollere Impulse, als eine<br />

faktisch einwandfreie Darstellung. Um erneut Roy Pascal zu zitieren: „Das Gedächtnis […]<br />

ist die mächtigste unbewußte Kraft beim Formen der Vergangenheit entsprechend dem Willen<br />

des Autors.“ 60 Und weiter: „Die Verfälschung der Wahrheit durch den Akt der erinnernden<br />

Besinnung ist ein so grundlegendes Wesensmerkmal der Autobiographie, daß man sie als<br />

deren notwendige Bedingung bezeichnen muß.“ 61 Eine Autobiographie also ausschließlich in<br />

Bezug auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen oder gar zu klassifizieren erscheint anhand<br />

dieser Aussagen nicht angebracht. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem eigenen<br />

Leben bringt notwendig auch eine eigene Wahrheit hervor. Dieses Verständnis ergänzend legt<br />

der Erzähler des Bandes Der Atem den Sachverhalt wie folgt vor:<br />

Gerade diese Mängel und Fehler gehören genauso zu dieser Schrift als Versuch und<br />

Annäherung wie das in ihr Notierte. Die Vollkommenheit ist <strong>für</strong> nichts möglich,<br />

geschweige denn <strong>für</strong> Geschriebenes und schon gar nicht <strong>für</strong> Notizen wie diese, die aus<br />

57 Misch, Georg: Begriff und Ursprung der Autobiographie. In: Niggl, Günter (Hg.): Die Autobiographie. Zu<br />

Form und Geschichte einer literarischen Gattung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1989.<br />

(Wege der Forschung 565), S. 33-54, S. 38.<br />

58 Picard, Hans Rudolf: Autobiographie im zeitgenössischen Frankreich. Existentielle Reflexion und literarische<br />

Gestaltung. München: Wilhelm Fink 1978. (Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste<br />

44), S. 67.<br />

59 Pascal, Roy: Die Autobiographie. Gehalt und Gestalt. Stuttgart, Berlin u.a.: Kohlhammer 1965. (Sprache und<br />

Literatur 19), S. 32.<br />

60 Ebd., S. 89.<br />

61 Ebd., S. 90.<br />

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