Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
Seiten ergeben würden. Friedrich Schlegel hatte natürlich nicht vor, ein solches Buch<br />
zu verfassen, sondern deutete damit bloß an, daß die Diskussion dieses Begriffs schon<br />
1797 uferlos geworden wäre.<br />
In Frankreich setzt eine wirkliche Debatte um den Begriff und um die damit<br />
verbundenen ästhetischen und politischen Positionen erst nach dem Ende der<br />
napoleonischen Herrschaft und in Reaktion auf Mme de Staëls 1814 in der<br />
französischen Fassung erschienenes Buch De l’Allemagne ein. Wir werden uns dieser<br />
Debatte und ihrer weiteren Entwicklung in den nächsten Wochen in ihrem jeweiligen<br />
Kontext noch öfter zuwenden, für heute sollen nur noch ausblicksartig weitere<br />
entscheidende Stationen skizziert werden: Nach dem durch De l’Allemagne<br />
ausgelösten Streit um 1814 sind die beiden Fassungen von Stendhals Racine et<br />
Shakespeare zu beachten, die 1823 und 1825 erscheinen. Um 1825 verbinden sich<br />
dann Positionen eines politischen und ökonomischen Liberalismus mit den<br />
ästhetischen Forderungen der <strong>Romantik</strong>, so daß sich politische und literarische<br />
Programmatik bei den wichtigsten <strong>Romantik</strong>ern, wie Stendhal oder Hugo, parallel<br />
entwickeln. In der liberalen Zeitschrift Le Globe veröffentlicht Ludovic Vitet 1825<br />
einen Artikel, in dem er diese Parallelität auf die Formel bringt, die <strong>Romantik</strong> sei<br />
„l’indépendance en matière de goût“, also die Unabhängigkeit in Fragen des<br />
Geschmacks, und daß man auch auf diesem Gebiet einen 14. Juli, also gweissermaßen<br />
die Erstürmung der Bastille des Klassizismus, zu erwarten habe. Ganz ähnlich spricht<br />
Victor Hugo im programmatischen Vorwort zu seinem Drama Cromwell von 1827<br />
vom „ancien régime littéraire“ und bezeichnet damit den Klassizismus als die<br />
ästhetische Entsprechung der Herrschaftsform, die mit der Französischen Revolution<br />
ab 1789 untergegangen war. Es konnte, so sollten solche Formeln suggerieren, nur<br />
noch eine Frage der Zeit sein, bis nach dem Tod der alten politischen Ordnung auch<br />
deren anachronistische Ästhetik untergehen würde. Den geradezu offiziellen<br />
Durchbruch erzielte die <strong>Romantik</strong> in Frankreich dann 1830 mit dem Streit um Hugos<br />
Drama Hernani, in dessen Vorwort sich die Verbindung von <strong>Romantik</strong> und<br />
Liberalismus ausdrücklich ausgesprochen fand und das eine das andere<br />
gewissermaßen definierte: „Le romantisme, tant de fois mal défini, n’est, à tout<br />
prendre, et c’est là sa définition réelle, si l’on ne l’envisage que sous son côté militant,<br />
que le libéralisme en littérature“ – die <strong>Romantik</strong>, die man so oft falsch definiert habe,<br />
sei also, alles in allem, nichts anderes als der Liberalismus in der Literatur.<br />
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