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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

17.11.2010<br />

Noch ein Nachtrag zur Frage der Perfektibilität, die am Ende der letzten Sitzung<br />

aufkam: eine umfassende Darstellung der Problematik vom frühen 18. bis ins<br />

19. Jahrhundert bietet<br />

Ernst Behler: Unendliche Perfektibilität. Europäische <strong>Romantik</strong> und Französische<br />

Revolution. Paderborn: Schöningh 1989.<br />

Wir hatten in der letzten Woche gesehen, wie um 1800 in der Diskussion um die<br />

Rezeption der englischen und deutschen Frühromantik in Frankreich die Figur des<br />

schottischen Barden und der ossianischen Dichtung zu einem Kristallisationspunkt<br />

wurde. Mme de Staël bezeichnet in De la littérature die Literatur des Nordens<br />

gegenüber der „littérature du midi“ als die lebendigere und energiegeladenere, aber<br />

auch als die melancholischere, und nennt als idealtypische Vertreter der beiden<br />

literarischen Klimazonen Ossian für den Norden und Homer für den Süden.<br />

Wir hatten bereits die Abfolge der einzelnen Beiträge zum Streit um De la<br />

littérature gesehen: nach der langen Rezension von Louis de Fontanes vom Juni<br />

1800 reagiert im Dezember desselben Jahres Chateaubriand mit einem Brief an<br />

Fontanes, den ebenfalls der Mercure de France abdruckt, auf die zweite Auflage von<br />

Mme de Staëls Werk. Daß der Streit zwischen den beiden Konzeptionen bereits ein<br />

Streit um die Funktion der romantischen Literatur für das neue, unter Bonaparte<br />

befriedete Frankreich war, zeigen die rückblickenden Kommentare, mit denen<br />

Chateaubriand selbst oder später auch Baudelaire das Erscheinen des Génie du<br />

christianisme als den Beginn der französischen <strong>Romantik</strong> bezeichnen.<br />

Chateaubriand fand dafür die Formulierung, die ich in der letzten Woche bereits<br />

paraphrasiert hatte. Die Stelle findet sich im 11. Buch des ersten Teils der Mémoires<br />

d’Outre-Tombe und steht dort im Zusammenhang der Darstellung der Begegnung<br />

mit Fontanes im englischen Exil. Chateaubriand hat diese Passage vermutlich 1832<br />

geschrieben, also aus dem Abstand von mittlerweile mehr als dreißig Jahren zur<br />

geschilderten Periode. Die Ablösung der ‚klassischen Schule‘ durch die <strong>Romantik</strong><br />

wird in dieser Darstellung, wie meist bei Chateaubriand, personalisiert und in die<br />

Figuren Fontanes und die des Erzählers selbst verlegt. Fontanes ist darin der<br />

Vertreter der „école classique“, der das radikal Neue an Chateaubriands literarischer<br />

Produktion erkannt, wenn auch nicht wirklich verstanden habe:<br />

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