Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
et de leurs progrès futurs“. Der erste Teil bietet einen Überblick über die Entwicklung<br />
der Literatur im erwähnten weiten Sinn von der griechischen über die lateinische<br />
Antike, das christliche Mittelalter und die englische, spanische, italienische und<br />
deutsche Literatur von der Frühen Neuzeit bis 1789. Der zweite Teil widmet sich den<br />
gesellschaftspolitischen Aspekten literarischer Kommunikation in der Gegenwart und<br />
wagt Prognosen für die nähere Zukunft. Die insgesamt 9 Kapitel widmen sich so<br />
unterschiedlichen Themen wie<br />
(Kap. 2) Du goût, de l’urbanité des mœurs, et de leur influence littéraire et politique.<br />
(Kap. 4) Des Femmes qui cultivent les Lettres<br />
(Kap. 7) Du style des Ecrivains et de celui des Magistrats<br />
oder (Kap. 8) De l’Eloquence<br />
Im ersten Teil entwickelt Mme de Staël in handlicher Form ihre Version der<br />
Klimatheorie, der zufolge die lateinisch-mediterranen Kulturen in mehreren Phasen<br />
ihre Geschichte einen Grad dekadenter Raffinesse erreicht hatten, an dem sie des<br />
energischen Einflusses der Völker des Nordens bedurften, um vor dem völligen<br />
sittlichen Niedergang bewahrt zu werden. Zum ersten Mal sei dies in der Zeit der<br />
Völkerwanderungen der Fall gewesen, als die spätrömische Kultur moralisch und<br />
politisch bereits vollkommen entkräftet gewesen. Der Energiebegriff, dem Michel<br />
Delon die in der letzten Woche erwähnte Untersuchung gewidmet hat, spielt hier eine<br />
große Rolle. Über die Untergang des spätrömischen Reiches und die Invasion der<br />
nordischen Barbaren heißt es im Kapitel „De l’invasion des Peuples du Nord, de<br />
l’établissement de la Religion Chrétienne et de la renaissance des Lettres“:<br />
L’invasion des barbares fut sans doute un grand malheur pour les nations<br />
contemporaines de cette révolution; mais les lumières se propagèrent par cette<br />
événement même. Les habitans énervés du midi, se mêlant avec les hommes du nord,<br />
empruntèrent d’eux une sorte d’énergie, et leur donnèrent une sort de souplesse, qui<br />
devoit servir à compléter les facultés intellectuelles. 17<br />
Was in der Spätantike bereits einmal mit weitreichenden kulturellen Folgen<br />
funktioniert habe, sollte sich, wie wir noch sehen werden, Mme de Staël zufolge auch<br />
um 1800 im Verhältnis der urwüchsigen, melancholisch veranlagten nordischen<br />
Kulturen zur raffinierten, aber im Laufe des 18. Jahrhunderts kraftlos gewordenen<br />
französischen Kultur wiederholen. Die Völker des Nordens haben in Mme de Staëls<br />
Schema auch die Christianisierung besser überstanden als die mediterranen Völker,<br />
weil das Christentum dem düster-melancholischen Naturell der Nordeuropäer in<br />
17 De la littérature, Éd. Blaeschke, S. 130.<br />
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