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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

sehr vermeßen sein, oder wenig große Naturscenen gesehen haben. Wie kleinlich fällt<br />

immer in künstlichen Anlagen was wild und erhaben sein soll, als Felsen, Stromfälle,<br />

Ruinen, gegen die Wirklichkeit aus! Es scheint also verständiger, zur Natur hinzugehen,<br />

als sie auf eine mühsame und kümmerliche Art zu sich herkommen zu laßen. Die<br />

zahlreichen Villen der Römer, in den üppigsten Gegenden Italiens, um von jeder<br />

Jahreszeit die Blüthe zu genießen, waren ein ganz anderer Luxus, als ein englischer<br />

Landsitz, der die Eigenthümlichkeiten verschiedener Land- und Himmelsstriche in sich<br />

vereinigen soll. […] wer ein Landhaus mit einem bequemen Gärtchen am Meerbusen von<br />

Neapel oder am Genfersee bewohnt, darf gewiß den<br />

geräumigsten und am meisten auf’s Romantische angelegten Park nicht beneiden. 5<br />

Noch 1800 benutzt Schlegel den Begriff also zumindest auch noch ganz so wie<br />

Rousseau 1777, und auffälligerweise auch mit dem Genfer See als Beispiel. Wenige<br />

Jahre später wird Schlegel in seinen <strong>Vorlesung</strong>en über dramatische Kunst und<br />

Literatur, einem der europaweit folgenreichsten Bücher für die Verbreitung<br />

romantischer Theoriebildung, noch einmal auf die Gartenterminologie zurückgreifen,<br />

um damit die Überlegenheit zweier romantischer Modellautoren, Shakespeares und<br />

Calderóns, gegenüber der französischen Klassik Corneilles und Racines in ein Bild zu<br />

fassen. Die von Schlegel besonders vehement abgelehnte französische Tragödie des<br />

17. Jahrhunderts, die zur Zeit der Abfassung seiner <strong>Vorlesung</strong>en – also im Jahr 1808<br />

– im napoleonischen Frankreich von der offiziellen Ästhetik immer noch als<br />

mustergültig hochgehalten wurden, stand in diesem Bild natürlich auf der Seite des<br />

geregelten und deshalb langweiligen französischen Gartens. Die französischen<br />

Tragödien stünden, so Schlegel,<br />

in der Theorie der tragischen Kunst ungefähr auf dem Punkte, wo sie in der Gartenkunst<br />

zur Zeit des Lenotre standen . Das ganze Verdienst wird in einen der Natur durch die Kunst<br />

abgezwungenen Triumph gesetzt. Die Regelmäßigkeit begreifen sie bloß als eine<br />

abgezirkelte Symmetrie schnurgerader Bäume, beschnittener Hecken u.s.w. Vergeblich<br />

würde man sich bemühen, den Baumeistern solcher Gärten an einem englischen Park<br />

einen Plan, eine versteckte Ordnung begreiflich zu machen, und ihnen zu zeigen, wie eine<br />

Reihe von Landschaftgemählden, die durch ihre Stufenfolge, ihren Wechsel und ihre<br />

Gegensätze einander heben, alle auf Erregung einer gewissen Gemüthsstimmung<br />

abzwecken. 6<br />

„Romantisch“ bedeutet also für Schlegel hier sowohl in der Landschaftsarchitektur<br />

als auch in der Bühnenästhetik so viel, wie die Freiheit gegenüber einem<br />

unnatürlichen, künstlichen Regelzwang. Die Positionen August Wilhelm Schlegels<br />

sind auch für die französische Literatur von unmittelbarer Bedeutung, weil Schlegel<br />

seit 1804 der ständige Begleiter und literarische Ratgeber von Mme de Staël war. Sie<br />

hatte ihn, auf eine Empfehlung hin, die Goethe ihr Anfang 1804 in Weimar gegeben<br />

5 AWS: Vorrede zu Horatio Walpole’s historischen, literarischen u. unterhaltenden Schriften,<br />

übersetzt von A.W.Schlegel. Leipzig bei Hartknoch 1800. Hier nach der Ausgabe AWS/Böcking<br />

(1846), Bd. 8, S. 62.<br />

6 AWS: <strong>Vorlesung</strong>en über dramatische Kunst und Literatur.<br />

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