Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
diffus orientalischen Stimmung, während die Beherrschung der Form in den<br />
Vordergrund tritt. Man muß bis in die Barocklyrik zurückgehen oder bis ins<br />
20. Jahrhundert nach vorne schauen, um ähnliche Sprach- und Formspiele in der<br />
Lyrik zu finden.<br />
Auch für die Entwicklung der Lyrik bedeutet die Julirevolution von 1830 einen<br />
Bruch. Mit der zweiten Revolution nach 1789 scheint für viele Zeitgenossen der<br />
Beweis erbracht, daß das Ancien Régime endgültig untergegangen ist und daß man<br />
sich nun auf eine immer strahlendere Zukunft zubewege. Die politische Lyrik und das<br />
politische Lied nach 1830 sind eine eigene, an den Rändern nur schwer<br />
überschaubare Gattung, auf die wir heute aus Zeitgründen nicht mehr eingehen<br />
können. Für eine gründliche Darstellung, die den Zeitraum von 1789 bis 1888<br />
umfaßt, kann ich Ihnen einen neuen <strong>Text</strong> von Heinz Thoma empfehlen, der einer der<br />
besten Kenner des Themas ist:<br />
Heinz Thoma: PATRIE – NATION – RÉPUBLIQUE – HUMANITÉ. Themen und<br />
Formen politischer Dichtung (1789–1888). In: Ders. (Hg.): 19. Jahrhundert. Lyrik.<br />
Tübingen: Stauffenburg 2009 (Französische Literatur. Stauffenburg Interpretation),<br />
S. 131–174.<br />
Wir haben auch keine Zeit mehr für eine gründliche Betrachtung der Entwicklung<br />
der romantischen Lyrik nach 1830. Ich möchte deshalb nur exemplarisch einen<br />
weniger bekannten Autor vorstellen, Aloysius Bertrand, der nicht nur alle<br />
romantischen Klischees vom unglücklichen und verarmten Künstler auf sich vereint,<br />
sondern außerdem eine Form der Poesie eingeführt hat, an die Baudelaire<br />
ausdrücklich angeschlossen hat, nämlich das Prosagedicht. Die Annäherung von<br />
Prosa an lyrisches Sprechen hatten wir schon bei Chateaubriand gesehen, sowohl in<br />
seinen Beschreibungen der wilden Natur der nordamerikanischen Urwälder, als auch<br />
in den Passagen, die er als Prosaübersetzungen von Indianergesängen ausgab. Bei<br />
Bertrand, der seine <strong>Text</strong>e ab 1828 in den Kreisen um Victor Hugo vorträgt, aber bis<br />
zu seinem Tod im Jahr 1841 keinen Verleger findet, ist es umgekehrt: die Lyrik<br />
verzichtet auf den Reim und weitgehend auch auf den Rhythmus. Stattdessen bieten<br />
die <strong>Text</strong>e, die Bertrand unter dem Titel Gaspard de la Nuit versammelt, rätselhafte<br />
kleine Szenen, die an Bilder von Rembrandt oder Callot erinnern sollen. Der<br />
vollständige Titel, Gaspard de la Nuit. Fantaisies à la manière de Rembrandt et de<br />
Callot erinnert deutlich an E.T.A. Hoffmanns Fantasiestücke in Callot’s Manier. Die<br />
Poesie soll sich also mit den ästhetischen Qualitäten der Malerei verbinden,<br />
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