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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

Les Anciens avaient pour ainsi dire une âme corporelle, dont tous les mouvements étaient<br />

forts, directs et conséquents, il n’en est pas de même du cœur humain développé par le<br />

christianisme : les modernes ont puisé, dans le repentir chrétien, l’habitude de se replier<br />

continuellement sur eux-mêmes. 44<br />

Doch anders als Chataubriand sieht Mme de Staël die literarischen Modelle, die diese<br />

„réflexion intérieure“ am besten ausdrücken, nicht bei Pascal oder Bossuet, sondern<br />

in der Ritterdichtung des Mittelalters und in den modernen Literaturen, die im Geist<br />

dieser Dichtungen zu schreiben versuchten. „Les nuances infinies de ce qui se passe<br />

dans l’âme“ seien nur mit dieser modernen, beweglichen und ebenso unendlich<br />

ausdrucksfähigen Literatur zu erfassen. Die romantische Literatur gleiche deswegen<br />

in ihrer Beweglichkeit eher der Malerei, während die antike Literatur in ihrer Statik<br />

der Bildhauerei entspreche. Die romantische Literatur speise sich aus dem<br />

„christianisme chevaleresque“, der die bewegliche Darstellung der unendlichen<br />

Nuancen der Seele ermögliche:<br />

L’honneur et l’amour, la bravoure et la pitié sont les sentiments qui signalent le<br />

christianisme chevaleresque ; et ces dispositions de l’âme ne peuvent se faire voir que par<br />

les dangers, les exploits, les amours, les malheurs, l’intérêt romantique enfin, qui varie<br />

sans cesse les tableaux. 45<br />

Eine entscheidende Weiterung gegenüber Chateaubriands Definitionen des<br />

Romantischen findet sich bei Mme de Staël darin, daß sie ein nationales Moment in<br />

die Argumentation einführt. De l’Allemagne war 1813 zum ersten Mal erschienen,<br />

nachdem die Ausgabe von 1810 eingestampft worden war. 1813 hatte sich bereits die<br />

antinapoleonische Allianz gebildet, die offen an nationalistische Gefühle in den von<br />

Napoleons Truppen besetzten Gebieten Europas appellierte, um den Widerstand<br />

gegen die Besatzer zu verstärken. Mme de Staël war über Österreich, Rußland und<br />

Schweden nach England geflüchtet und erhoffte sich von einem Sieg der reaktionären<br />

Mächte die Möglichkeit, nach Paris zurückzukehren. Die Verbindung von <strong>Romantik</strong><br />

und Nationalismus ist deshalb politisch durchaus beabsichtigt und gegen das<br />

napoleonische Frankreich gerichtet. In ihrer Definition der romantischen Literatur<br />

macht Mme de Staël daraus ein Argument dafür, daß die moderne Literatur, die vom<br />

„christianisme chevaleresque“ inspiriert sei, das Publikum stärker und unmittelbarer<br />

anspreche als die Imitationen der Antike:<br />

[…] la question pour nous n’est pas entre la poésie classique et la poésie romantique, mais<br />

entre l’imitation de l’une et l’inspiration de l’autre. La littérature des Anciens est chez les<br />

modernes une littérature transplantée : la littérature romantique ou chevaleresque est<br />

chez nous indigène, et c’est notre religion et nos institutions qui l’ont fait éclore.<br />

44 De l’Allemagne II, 11 (GF-Augsbabe Bd. 1, S. 212).<br />

45 Ebd., S. 213.<br />

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