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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

Auch aus der Sicht von 1859 ist Chateaubriand der heilige Berg, der über dem<br />

Gewusel in der Ebene thront, in der sich Hugo, Sainte-Beuve und Vigny aufhalten.<br />

Auch wenn diese drei Herren dabei, nach Baudelaires Einschätzung, die französische<br />

Lyrik zu neuem Leben erweckt haben, bleibt doch Chateaubriand der Hintergrund,<br />

der alle weiteren Entwicklungen überschatttet.<br />

Doch sehen wir uns zunächst an, wie sich der selbsternannte Anführer der<br />

romantischen Revolution in Frankreich um 1800 als Vordenker einer neuen Literatur<br />

in Szene setzt. Chateaubriands Bericht über die Begegnung mit Fontanes, den wir<br />

eben gelesen haben, läßt bereits erahnen, welchen Eindruck die <strong>Text</strong>e, die dann im<br />

Génie du Christianisme versammelt werden sollten, auf einen Vertreter der<br />

klassischen Schule machen mußten. Der Bericht eines weiteren Bekannten<br />

Chateaubriands aus dem Kreis um Louis de Fontanes bestätigt die Schilderung aus<br />

den Mémoires d’Outre-Tombe. Mathieu Molé erinnert sich in seiner um 1810<br />

begonnenen Autobiographie an die erste Lektüre von Auszügen aus dem Génie, die<br />

Chateaubriand bereits ab 1800 in verschiedenen Zeitschriften kursieren ließ:<br />

Quelques épreuves du premier volume, qu’on venait de livrer à l’imprimerie, me<br />

tombèrent entre les mains. Je crus l’auteur fou – et Fontanes aussi. Jamais je n’avais<br />

trouvé réunis autant de talent, de mauvais goût et d’extravagance. Je m’en ouvris à<br />

Fontanes, qui me dit qu’il s’était jeté aux genoux de Chateaubriand pour qu’il brulât son<br />

livre et se mît à le réécrire, mais que le besoin d’argent l’obligeait à hâte cette malheureuse<br />

publication. 28<br />

Leicht bösartig stellt Molé den Schock, den Chateaubriands Stil bei den Zeitgenossen<br />

auslöste, also als Folge des Zeit- und Geldmangels dar, der den Autor gezwungen<br />

habe, den <strong>Text</strong> in einem unfertigen Zustand an die Öffentlichkeit zu geben. Wir<br />

wissen heute, daß Chateaubriand in Wirklichkeit ständig an seinen <strong>Text</strong>en gefeilt hat<br />

und daß die romantischen Effekte, die seinen Bekannten so verstörend erschienen,<br />

genau berechnet waren. Auch die Pressereaktionen hatte Chateaubriand zu steuern<br />

versucht, wie ebenfalls Mathieu Molé berichtet. Nachdem er ausführlich die<br />

publizistische Unterstützung beschrieben hat, die Louis de Fontanes seinem Freund<br />

habe zukommen lassen, erzählt er, daß Chateaubriand im Grunde keine<br />

Unterstützung benötigt habe, da er sehr gut für sein eigens Marketing habe sorgen<br />

können: „Personne ne sait comme lui travailler à sa renommée“. 29 Chateaubriand<br />

habe ein Abendessen ausgerichtet, zu dem er die Redakteure aller Zeitschriften in ein<br />

Pariser Restaurant eingeladen habe, um sich dann bei allen ins rechte Licht zu setzen:<br />

28 Mathieu Molé: Souvenirs de jeunesse 1793–1803. Paris: Mercure de France 1991, S. 155–156.<br />

29 Ebd., S. 156.<br />

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