Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
Il jette son poignard aux pieds du Colonel.<br />
Dumas hat in seinen Mémoiren die Grundidee für Antony notiert, die das moralische<br />
Problem auf den Punkt bringt und gleichzeitig löst:<br />
Un jour, je me promenais sur le boulevard, je m’arrêtai tout à coup, me disant à moimême:<br />
Un homme qui, surpris par le mari de sa maîtresse, la tuerait en lui disant qu’elle<br />
lui résistait, et qui mourrait sur l’échafaud à la suite de ce meurtre, sauverait l’honneur de<br />
cette femme, et expierait son crime. L’idée d’Antony était trouvée. (Dumas, Mémoires)<br />
Dumas hatte in seinem Stück selbst den romantischen Streit um die Frage nach<br />
historischen oder aktuellen Themen aufgenommen und im vierten Akt ein Gespräch<br />
im Salon der Vicomtesse de Lacy auf die Bühne gebracht, in dem die Personen über<br />
Vor- und Nachteile der Aktualität diskutieren. Eugène, ein junger Dichter, verteidigt<br />
darin seine mittelalterlichen Dramen, aber die anderen Salongäste verlangen<br />
gegenwärtige Stoffe. Adèle fragt den Dichter:<br />
Adèle: Et vous achevez sans doute quelque chose, monsieur.<br />
Eugène: Oui, madame.<br />
Madame de Camps: Toujours du Moyen Âge?<br />
Eugène:<br />
Toujours.<br />
Adèle: Mais pouquoi ne pas attaquer un sujet au milieu de notre société moderne ?<br />
La Vicomtesse : C’est ce qui je lui répète à chaque instant : ‘Faites de l’actualité‘. N’est-ce<br />
pas qu’on s’intéresse bien plus à des personnages de notre époque, habillés comme nous,<br />
parlant la même langue ? (Antony, IV, Sc. 6)<br />
Eugène verteidigt im weiteren mit guten Argumenten die Notwendigkeit, sich einen<br />
Abstand von der Gegenwart zu verschaffen, weil die Gesellschaft nach der Revolution<br />
zu gleichförmig geworden sei, um noch starke Kontraste zu ermöglichen. Das<br />
Raffinierte ist nun, könnte man sagen, daß der Stoff des Stücks den anderen<br />
Gesprächsteilnehmern gegen den Vertreter des Dichters recht gibt: der Dichter<br />
vertritt zwar noch die historischen Themen, aber das tut er im Rahmen eines Stücks,<br />
das in der Gegenwart spielt.<br />
Ich hatte am Anfang bereits gesagt, daß auch Balzac eine ähnliche Wendung für<br />
den Roman vollzieht. Nach historischen Anfängen, die noch deutlich von Scott<br />
inspiriert sind, entwickelt er innerhalb weniger Jahre sein monumentales Projekt<br />
einer umfassenden Gesellschaftsgeschichte der Gegenwart in Romanform. Spätestens<br />
mit dem Père Goriot von 1835 plant Balzac, seine bisherigen und die noch zu<br />
schreibenden Werke drei große Gruppen aufzuteilen:<br />
1. Études de mœurs<br />
2. Études philosophiques<br />
3. Études analytiques.<br />
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