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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

[…] marivaudage tragique, où la difficulté n’est point, comme chez Marivaux, de faire une<br />

déclaration d’amour mais une déclaration de haine. Dès qu’on y parvient, l’histoire est<br />

terminée. 64<br />

Das ist zwar eine sehr geistreiche Definition, aber auch damit wird man dem <strong>Text</strong><br />

nicht wirklich gerecht.<br />

Für diejenigen, die vielleicht ihre Lektüre des Romans noch nicht ganz<br />

abgeschlossen haben – aber natürlich auch für alle anderen – werde ich möglichst<br />

eng am <strong>Text</strong> die Geschichte des Romans interpretierend nacherzählen.<br />

Wir haben es bei Adolphe mit einem sogenannten „roman personnel“ zu tun,<br />

einem Roman also, der in der ersten Person Singular erzählt ist und<br />

bekenntnishaften Charakter hat, der allerdings ausdrücklich keine Autobiographie<br />

darstellt. Den Ton der Konfession und der peinlich genauen Selbstanalyse hat diese<br />

Romanform aus Rousseaus Confessions übernommen, doch handelt es sich bei<br />

<strong>Text</strong>en wie René oder Adolphe eben, trotz möglicherweise erkennbarer<br />

autobiographischer Züge, nicht um Autobiographien: René ist nicht Chateaubriand,<br />

Adolphe ist nicht Constant. Der roman personnel bietet üblicherweise aus der<br />

Rückschau eines politisch, moralisch oder gesellschaftlich gescheiterten Individuums<br />

ein desillusioniertes Fazit und den Versuch, die Gründe für das Scheitern zu<br />

analysieren. Während bei René der <strong>Text</strong> in der aus dem Genie du Christianisme<br />

herausgelösten Romanfassung unvermittelt einsetzt und endet, ohne daß die<br />

Erzählinstanz, der wir den Rahmenbericht verdanken, genau definiert würde, greift<br />

Constant in Adolphe auf die aus der Tradition des Briefromans vertraute<br />

Herausgeberfiktion zurück. Der volle Titel des Romans lautet Adolphe. Anecdote<br />

trouvée dans les papiers d’un inconnu par Benjamin Constant. Der <strong>Text</strong> beginnt mit<br />

einem „Avis de l’éditeur“, in dem wir erfahren, wie der Herausgeber an die<br />

Geschichte gelangt ist, die wir im folgenden lesen werden. Das erste „Je“, das uns im<br />

<strong>Text</strong> begegnet, ist also das des Herausgebers ‚Benjamin Constant‘:<br />

Je parcourais l’Italie, il y a bien des années. Je fus arrêté dans une auberge de Cerenza,<br />

petit village de la Calabre, par un débordement du Neto; il y avait dans la même auberge<br />

un étranger qui se trouvait forcé d’y séjourner pour la même cause. Il était fort silencieux<br />

et paraissait triste. 65<br />

Der schweigsame, traurige Gast, auf den wir den ersten Blick durch die Augen des<br />

Herausgebers werfen, ist Adolphe, dessen Namen wir aber erst viel später im <strong>Text</strong><br />

erfahren werden. Wir erfahren in diesem Vorbericht des Herausgebers weiter, daß<br />

64 Stendhal: Rez. im New monthly Magazine 1824.<br />

65 Benjamin Constant. Adolphe. Éd. Daniel Leuwers. GF 1989, S. 44.<br />

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