Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
yeux. Cet événement m’avait rempli d’un sentiment d’incertitude sur la destinée, et d’une<br />
rêverie vague qui ne m’abandonnait pas. Je lisais de préférence dans les poètes ce qui<br />
rappelait la brièveté de la vie humaine. Je trouvais qu’aucun but ne valait la peine d’aucun<br />
effort. 71<br />
Adolphe leidet also unter dem von Chateaubriand diagnostizierten, undefinierbaren<br />
Zustand dessen, der schon früh all seiner Illusionen beraubt worden ist und darauf<br />
mit einem „sentiment d’incertitude“ und einer „rêverie vague“ reagiert und deshalb<br />
vollkommen antriebslos vom „ennui“ geplagt wird. An dem kleinen deutschen<br />
Provinzhof, an dem Adolf nach seinem Studium in Göttingen unterkommt, sieht er<br />
einen glücklich verliebten Bekannten und beschließt, sich einen ähnlichen<br />
Gefühlszustand zu verschaffen: „Le spectacle d’un tel bonheur me fit regretter de n’en<br />
avoir pas essayé encore ; je n’avais point eu jusqu’alors de liaison de femme qui pût<br />
flatter mon amour-propre.“. 72 Der desillusionierte Erzähler Adolphe kommentiert<br />
diese leichtsinnige Überlegung des jüngeren Adolphe mit einer der vielen Sentenzen,<br />
von denen der Roman durchzogen ist. Bereits hier formuliert er ein Ungenügen an<br />
der Sprache, die nie präzise genug sei, um die unendlich wandelbaren und<br />
gemischten Gefühlszustände des Menschen angemessen zu definieren:<br />
Les sentiments de l’homme sont confus et mélangés; ils se composent d’une multitude<br />
d’impressions variées qui échappent à l’observation; et la parole, toujours trop grossière<br />
et trop générale, peut bien servir à les désigner, mais ne sert jamais à les définir. 73<br />
Als er sich in diesem undefinierbaren, aber aufgewühlten Zustand befindet, begegnet<br />
ihm die zehn Jahre ältere Polin Ellénore, die infolge der politischen Wechselfälle<br />
ihrer Heimat Polen als Kind verlassen mußte und nun seit vielen Jahren als offizielle<br />
Geliebte eines Comte de P***, von dem sie auch zwei Kinder hat, mit diesem Comte<br />
zusammenlebt. Diese vollkommen zufällige Begegnung wählt Adolphe nun zum Ziel<br />
seiner Werbungen: „Offerte à mes regards dans un moment où mon cœur avait<br />
besoin d’amour, ma vanité de succès, Ellénore me parut une conquête digne de<br />
moi.“ 74 Nachdem Ellénore seinen Zudringlichkeiten eine Zeitlang widerstanden hat,<br />
schreibt er ihr einen pathetischen Brief. Der Erzähler Adolphe kommentiert aus dem<br />
Rückblick die sprachliche Kraft dieses zunächst nur in strategischer Absicht verfaßten<br />
Briefs. Bis zu diesem Punkt könnte man Adolphe noch für einen Nachfolger der<br />
Roman-Libertins des 18. Jahrhunderts halten. Besonders das Beispiel Valmonts aus<br />
Choderlos de Laclos’ Laisions dangereuses liegt nahe, wenn Adolphe seinen<br />
71 Ebd., S. 51.<br />
72 Ebd., S. 57.<br />
73 Ebd.<br />
74 Ebd., 62.<br />
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