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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

Nach der Revolution: Staatsklassizismus vs. Frühromantik<br />

Wir hatten in der letzten Woche am Beispiel von Chateaubriands Mémoires d’outretombe<br />

und von Hugos Nachruf auf Lord Byron gesehen, wie zwei Hauptvertreter der<br />

französischen <strong>Romantik</strong> die literarische Epochengrenze zwischen dem 18. und dem<br />

19. Jahrhundert markieren. Beide suggerieren in ihren Definitionen einen radikalen<br />

Einschnitt um das Jahr 1800, weil mit dem Ende der Französischen Revolution auch<br />

die Literatur, die das 18. Jahrhundert geprägt habe, untergegangen sei. Für<br />

Chateaubriand verschwindet das Jahrhundert fast ganz zwischen dem klassischen 17<br />

und dem romantischen 19. Jahrhundert, ohne nennenswerte Spuren hinterlassen zu<br />

haben, zumindest nennt Chateaubriand namentlich niemanden:<br />

La littérature du dix-huitième siècle, à part quelques beaux génies qui la dominent, cette<br />

littérature, placée entre la littérature classique du dix-septième siècle et la littérature<br />

romantique du dix-neuvième, sans manquer de naturel, manque de nature ; nouée à des<br />

arrangements de mots, elle n’est ni assez originale comme école nouvelle, ni assez pure<br />

comme école antique. 13<br />

Neben dem « manque de nature », der dem 18. Jahrhundert hier angelastet wird,<br />

hatte wir auch die Vorwürfe Victor Hugos von 1824 gesehen, die noch schärfer<br />

ausfielen und im Entwurf eines romantischen Gegenprogramm mündeten, das Hugo<br />

auf die Trias von Trauer, Stolz und Religiostät zuspitzt:<br />

Étrangère à tout ce qui n’est pas son but véritable, elle puise la poésie aux sources de la<br />

vérité. Son imagination se féconde par la croyance. Elle suit les progrès du temps, mais<br />

d’un pas grave et mesuré. Son caractère et sérieux, sa voix est mélodieuse et sonore. Elle<br />

est, en un mot, ce que doit être la commune pensée d’une grande nation après de grandes<br />

calamités : triste, fière et religieuse. 14<br />

Wir hatten auch gesehen, daß Chateaubriand sich selbst als denjenigen in Szene setzt,<br />

auf den dieser radikale Bruch um 1800 zurückzuführen sei. Sie erinnern sich an seine<br />

Formulierung aus den Mémoires d’outre-tombe: „J’ai peur d’avoir été le premier<br />

coupable ; novateur né, j’aurai peut-être communiqué aux générations nouvelles la<br />

maladie dont j’étais atteint ». 15 Als Chateaubriand diesen Satz in den 18##er Jahren<br />

schreibt, ist er zumindest seit mehreren Jahrzehnten bemüht, diesen Eindruck auch<br />

in seiner Selbstvermarktung zu erwecken. Die Geschichte der Veröffentlichung des<br />

1802 zum ersten Mal erschienenen Génie du CHristianisme zeigt, wie Chateaubriand<br />

13 FDC: MOT I, Buch 11, Kap. 2.<br />

14 Ebd., S. 157.<br />

15 FDC: MOT Teil 1, Buch 4, Kap. 12<br />

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