Vorlesung Romantik Text
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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />
hätte Adolphe nun sein Ziel erreicht und die Geschichte könnte zum nächsten<br />
Abenteuer fortschreiten. Seine erste Reaktion nach der Liebesnacht mit Ellénore<br />
scheint auch noch in diese Richtung zu deuten:<br />
J’aimai, je respectai mille fois plus Ellénore après qu’elle se fut donnée. Je marchais avec<br />
orgueil au milieu des hommes ; je promenais sur eux un regard dominateur. L’air que je<br />
respirais était à lui seul une jouissance. Je m’élançais au-devant de la nature, pour la<br />
remercier du bienfait inespéré qu’elle avait daigné m’accorder. (82)<br />
Wieder fällt Adolphes eigenartiges Verständnis von Natur auf : die Natur ist für ihn<br />
noch immer vor allem eine sprachlich-manipulativ verstandene Größe, die er zu<br />
beherrschen glaubt. Doch schon bald wird ihm Ellénore, die nun jede freie Minute<br />
mit ihm zu verbringen hofft, lästig. Die Existenz, die er gerade noch als von der Natur<br />
bestimmt bezeichnet hatte, erscheint ihm nun unnatürlich gegenüber seinem<br />
bisherigen ungezwungenen Leben in der Gesellschaft:<br />
Il m’était quelquefois incommode d’avoir tous mes pas marqués d’avance et tous mes<br />
moments ainsi comptés. […] Je ne savais que répondre à mes connaissances lorsqu’on me<br />
proposait quelque partie que, dans une situation naturelle, je n’aurais point eu de motif<br />
pour refuser. (84)<br />
Nachdem er Ellénore im Sinne des libertinen Programms ‘erobert‘ hat, ist sie für ihn<br />
kein Ziel mehr, sondern nur noch eine lästige Verbindung : « Ellénore était sans<br />
doute un vif plaisir dans mon existence, mais elle n’était plus un but : elle était<br />
devenue un lien. » (85) Als Adolphe von seinem Vater aufgefordert wird, die<br />
Residenzstadt zu verlassen und nachhause zu kommen, bittet Adolphe dennoch um<br />
Aufschub, um Ellénore zu beruhigen. Er hofft beim Schreiben des Briefes allerdings,<br />
daß sein Vater seiner Bitte nicht entsprechen würde. Noch als er den Antwortbrief<br />
öffnet, ist er überzeugt, der Vater werde ihm die Verlängerung verweigern, redet sich<br />
aber zugleich ein, er werde mit den Schmerz der leidenden Ellénore aus der<br />
Entfernung teilen: „Il me semblait même que j’aurais partagé cette douleur avec une<br />
égale amertume“ (89). Wir sehen daran vor allem, daß Adolphe seinen eigenen<br />
Gefühlen nicht trauen kann. Er ist überzeugt, Ellénore die Karriere zu opfern, die ihn<br />
sicher erwarten würde, wenn er nach Hause zurückginge, und macht ihr daraus<br />
Vorwürfe; er unternimmt andererseits aber auch nichts, um sich von ihr zu trennen<br />
und seine Karriere aufzunehmen. Im Gegenteil, als Ellénore, die sich mittlerweile<br />
vom Comte de P*** getrennt, ihm die gemeinsamen Kinder überlassen und damit<br />
ihre gesellschaftliche Stellung nachhaltig beschädigt hat, von einem aufdringlichen<br />
Verehrer beleidigt wird, duelliert sich Adolphe mit dem Mann, um Ellénores Ehre zu<br />
verteidigen. Kurz darauf endet auch die verlängerte Aufenthaltsfrist, die Adolphes<br />
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