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Vorlesung Romantik Text

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<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

Die eigentliche Romanhandlung beginnt damit, daß der junge und schwer<br />

verliebte Octave bei einem Festessen seine Gabel verliert. Als er sich unter den Tisch<br />

bückt, um sie aufzuheben, sieht er, daß seine Geliebte, die ihm gegenübersitzt, ihr<br />

Bein über das ihres Tischnachbarn geschlungen hat. Octave wird fast ohnmächtig,<br />

kann dem Gesichtsausdruck der beiden aber keine Regung entnehmen, so daß er<br />

schon zu hoffen beginnt, er habe sich getäuscht. Er läßt nun seine Serviette fallen,<br />

bückt sich noch einmal unter den Tisch – und muß denselben unveränderten Anblick<br />

der ineinander verschlungenen Beine ertragen.<br />

Nach dem Fest beginnt eine Phase verzweifelter Szenen mit Mord- und<br />

Selbstmorddrohungen, doch die Trennung ist unvermeidlich. Ein Freund Octaves,<br />

der ein Leben als skrupelloser „débauché“ führt, will Octave dazu verleiten, sich<br />

ähnlich hemmungslos zu amüsieren und die treulose Geliebte zu vergessen. Octave<br />

lehnt zunächst empört ab, gibt sich dann aber zumindest Mühe und kann einige<br />

Erfolge auf dem Gebiet der „débauche“ verzeichnen. Nach einigen Rückfällen in seine<br />

melancholische Sehnsucht nach der verlorenen Geliebten gelingt ihm seine Existenz<br />

als Libertin immer besser, so daß er im zweiten Teils des Romans schon beschließen<br />

kann, die „gloire“, die ihm ansonsten beruflich und gesellschaftlich versagt ist,<br />

wenigstens auf dem Gebiet des offen ausgelebten Libertinage zu erreichen:<br />

Tandis que le libertinage honteux et secret avilit l’homme le plus noble, dans le désordre<br />

franc et hardi, dans ce qu’on peut nommer la débauche en plein air, il y a quelque<br />

grandeur, même pour le plus dépravé. (335)<br />

Doch er wird immer wieder von grundsätzlichen Zweifeln geplagt und flüchtet sich<br />

ins Gebet, womit er in besonders aufgewühlten Momenten sogar seinen libertinen<br />

Freund zu Tränen rührt. In einem solchen Moment des Zweifels erreicht ihn die<br />

Nachricht, daß sein Vater im Sterben liege. Er eilt auf den Landsitz seines Vaters,<br />

doch kommt er zu spät. Er beschließt nun, nicht nach Paris zurückzukehren und<br />

bleibt im Haus des Vaters, das in einem kleinen Dorf fern der Hauptstadt liegt. Dort<br />

lernt er nach einigen Wochen eine knapp dreißigjährige Frau namens Brigitte Pierson<br />

kennen, in die er sich bald heftig verliebt. Nach intensivem Werben gesteht auch sie<br />

ihm ihre Liebe, doch die Beziehung ist schon nach kurzer Zeit durch Octaves<br />

Schwanken zwischen Rückfällen in seine libertine Frauenfeindlichkeit und Attacken<br />

rasender Eifersucht belastet, obwohl ihm seine Geliebte dazu nicht den geringsten<br />

Anlaß bietet.<br />

Die beiden werden bald zum Gesprächsthema des kleinen Dorfes, und die<br />

ehemalige Tugendkönigin Brigitte verspielt ihren guten Ruf. Sie erträgt das alles mit<br />

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