15.06.2014 Aufrufe

Vorlesung Romantik Text

Vorlesung Romantik Text

Vorlesung Romantik Text

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Vorlesung</strong> Französische <strong>Romantik</strong> WiSe 2010/2011<br />

abschließende Hinweis auf die „habitudes sociales et les émotions politiques“ läßt<br />

bereits erwarten, daß nun das Argument des grundlegenden politischen Wandels<br />

folgen wird, den Frankreich seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts<br />

durchlaufen hat. Die Zeit der Revolution und des napoleonischen Kaiserreichs trenne<br />

nicht nur chronologisch das 18. vom 19. Jahrhundert, sondern auch literarisch habe<br />

die Gegenwart mit der unfruchtbaren und verstandeslastigen Zeit des Klassizismus<br />

nichts mehr zu tun. Die neue Literatur sei von Seele, Gefühl und Herz geprägt und<br />

zudem tief religiös, worüber auch die klassizistischen Kleingeister nicht<br />

hinwegtäuschen könnten:<br />

Qu’on ne s’y trompe pas: c’est en vain surtout qu’un petit nombre de petits esprits<br />

essaient de ramener les idées générales vers le désolant système littéraire du dernier<br />

siècle. Ce terrain, naturellement aride, est depuis long-temps desséché. D’ailleurs on ne<br />

recommence pas les madrigaux de Dorat après les guillotines de Robespierre, et ce n’est<br />

pas au siècle de Bonaparte qu’on peut continuer Voltaire. La littérature réelle de notre âge<br />

[…] est défendue par ceux qui pensent avec leur âme, jugent avec leur esprit et sentent<br />

avec le cœur ; cette littérature n’a point l’allure molle et effrontée de la muse qui chanta le<br />

cardinal Dubois, flatta la Pompadour et outragea notre Jeanne d’Arc. […] Étrangère à tout<br />

ce qui n’est pas son but véritable, elle puise la poésie aux sources de la vérité. Son<br />

imagination se féconde par la croyance. Elle suit les progrès du temps, mais d’un pas<br />

grave et mesuré. Son caractère et sérieux, sa voix est mélodieuse et sonore. Elle est, en un<br />

mot, ce que doit être la commune pensée d’une grande nation après de grandes<br />

calamités : triste, fière et religieuse. 10<br />

Die Literatur des 18. Jahrhunderts, in der Karikatur, die Hugo hier präsentiert, sei<br />

also « molle » und « effrontée », was sich vor allem als Hinweis auf frivole Liebeslyrik<br />

lesen läßt, wie auch die Erwähnung der « madrigaux de Dorat » unterstreicht.<br />

Claude-Joseph Dorat (1734–1780) galt schon unmittelbar nach der Revolution als<br />

typischer Vertreter der Gelegenheitsliteratur der 18. Jahrhunderts, als jemand, der zu<br />

jedem Anlaß und für jede beliebige Persönlichkeit etwas zu schreiben imstande war.<br />

ohne für jemals eigene Überzeugung damit zu verbinden. Der Gegensatz, den Hugo<br />

inszeniert, ist deshalb deutlich: die frivole und unverbindliche Literatur eines Dorat<br />

war nach dem historischen Ernst, den in Hugos Beispiel die Guillotinen der<br />

Revolution repräsentieren, nicht mehr denkbar. Der Vorwurf der Frivolität trifft auch<br />

Voltaire, dessen Stil im ‚Jahrhundert Bonapartes‘ nicht mehr angemessen sei. Auch<br />

die Aufzählung mit dem Loblieb auf Kardinal Dubois, den Schmeicheleien für Mme<br />

Pompadour und den Beleidigungen gegen die Nationalheldin Jeanne D’Arc bezieht<br />

sich auf Voltaire, der mit der Pucelle d’Orléans eine – übrigens sehr lustige – Satire<br />

auf den Kult um die Jungfräulichkeit der Jungfrau von Orléans geschrieben hatte.<br />

10 Ebd., S. 157.<br />

16

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!