Quellenarbeit als lebenslanges und neues Lernen - Deutschland ...
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Heidegger <strong>und</strong> vor allem Gadamers Hauptwerk auseinandergesetzt. Sprache ist für<br />
Habermas - anders <strong>als</strong> bei Gadamer - nicht autonom, sondern vergesellschaftet <strong>und</strong><br />
"verdinglicht". Es ist ein Medium, das von Herrschaft, Politik <strong>und</strong> Arbeit mitbestimmt<br />
wird. "Der Interpret muß sich den Kontext klarmachen, der von dem Autor <strong>und</strong> dem<br />
zeitgenössischen Publikum <strong>als</strong> gemeinsames Wissen vorausgesetzt worden sein<br />
muß, damit seinerzeit diejenigen Schwierigkeiten nicht aufzutreten brauchten, die der<br />
Text heute uns bereitet, <strong>und</strong> damit andere Schwierigkeiten unter den Zeitgenossen<br />
auftreten konnten, die uns wiederum trivial erscheinen. Allein auf dem Hintergr<strong>und</strong><br />
der kognitiven, moralischen <strong>und</strong> expressiven Bestandteile des kulturellen<br />
Wissensvorrats, aus dem der Autor <strong>und</strong> seine Zeitgenossen ihre Interpretation<br />
aufgebaut haben, kann sich der Sinn des Textes erschließen. Aber diese<br />
Voraussetzungen wiederum kann der nachgeborene Interpret nicht identifizieren,<br />
wenn er nicht zu dem mit dem Text verb<strong>und</strong>enen Geltungsansprüchen wenigstens<br />
implizit Stellung nimmt." 138 Zu berücksichtigen sei Quellenkritik <strong>als</strong> Ideologiekritik:<br />
Durch die Vergesellschaftung <strong>und</strong> die "innere Kolonisierung" entstehen<br />
Bewusstseinsformen, die Einzelne zwar befähigen, sich in den von Familien- ,<br />
Klassen- <strong>und</strong> politischen Strukturen geschaffenen Verhältnissen zurechtzufinden,<br />
deren tatsächlichen Charakter aber zugleich verschleiern.<br />
Habermas analysiert in diesem Zusammenhang auch die "familiäre Sozialisation <strong>und</strong><br />
Ich-Entwicklung" bei der "Diagnose der Entkopplung von System <strong>und</strong> Lebenswelt".<br />
Für die "marxistisch vereinnahmte Psychoanalyse" sei der Ödipuskomplex der<br />
"Angelpunkt", wie sich die "funktionalen Imperative des Gesellschaftssystems in den<br />
Über-Ich-Strukturen des herrschenden Sozialcharakters durchsetzen konnten".<br />
Habermas meint damit auch die Forschungen der Kritischen Theorie (Frankfurter<br />
Schule) über den autoritären Charakter, dem eine präfaschistische Disposition<br />
zugeschrieben wird. 139 Er konstatiert jedoch einen zeittypischen Symptomwandel von<br />
den klassischen Neurosen ( z.B. Hysterie oder Zwangsneurose) hin zu<br />
narzisstischen Störungen. Indem er sich auf Heinz Kohut <strong>und</strong> Christopher Lasch, in<br />
den Anmerkungen auch auf Alfred Lorenzer, Margaret S. Mahler, Edith Jacobson<br />
<strong>und</strong> Otto F. Kernberg beruft, sieht er "signifikante Veränderungen der Gegenwart",<br />
die sich einer sozialpsychologischen Erklärung durch den Ödipuskomplex entziehen.<br />
Die Theorie des kommunikativen Handelns bietet für ihn den Rahmen, "in dem das<br />
Strukturmodell von Ich, Es <strong>und</strong> Über-Ich reformuliert werden" könne. An die Stelle<br />
der Triebtheorie, die sich am Modell der Beziehungen zwischen Subjekt <strong>und</strong> Objekt<br />
orientiere, trete dann eine Sozialisationstheorie, die Strukturen der Intersubjektivität<br />
138 Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Band 1: Handlungsrationalität <strong>und</strong><br />
gesellschaftliche Rationalisierung. Frankfurt a. M. 1999. Seiten 158ff., zit. 190. Vgl. dazu auch Band 2:<br />
Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Frankfurt a. M. 1999. Seiten 182ff.; zur kritischen<br />
Gesellschaftstheorie Seiten 548ff.<br />
139 Die Analysen gehen von der Hypothese aus, dass der autoritäre Charakter in der mittelständischen<br />
patriarchalischen Familie wurzele <strong>und</strong> dass seine "verborgenen" psychischen Bedürfnisse<br />
verantwortlich seien für antidemokratisches, potenziell faschistisches Verhalten, weniger für politische,<br />
gesellschaftliche <strong>und</strong> wirtschaftliche Überzeugungen. Vgl. Theodor W. Adorno: Studien zum<br />
autoritären Charakter. Vierte Auflage. Frankfurt a. M. 1982.<br />
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