Quellenarbeit als lebenslanges und neues Lernen - Deutschland ...
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Um ein kohärentes Selbst zu entwickeln, sind Empathie <strong>und</strong> Zuwendung einer<br />
Bezugsperson oder eines sozialen Umfeldes erforderlich. Nur so vermag das Kind<br />
einzelne Körperteile <strong>und</strong> zunächst fragmentierte körperliche <strong>und</strong> seelische<br />
Funktionen zu besetzen, zu konfigurieren <strong>und</strong> sich <strong>als</strong> körperlich-emotionale<br />
Ganzheit zu erfahren. 20 Ist die Mutter, die in der Regel in dieser primären<br />
Sozialisation die Hauptrolle spielt, ihrem Kind gegenüber dominant, kalt oder gar<br />
abweisend <strong>und</strong> abwesend, aber auch umgekehrt, ist sie zu nachgiebig <strong>und</strong> verwöhnt<br />
sie ihr Kind, ohne ihm Grenzen zu setzen <strong>und</strong> damit Halt zu geben, so vermag es<br />
kein stabiles Selbst <strong>und</strong> Selbstwertgefühl aufzubauen, sondern allenfalls Kerne<br />
davon.<br />
Eine in sich widersprüchliche "Erziehung" ohne Konstanz <strong>und</strong> Kontinuität begünstigt<br />
jene narzisstischen Störungen, die auf einem aufoktroyierten "f<strong>als</strong>chen Selbst"<br />
gründen. Oft sind es sensible <strong>und</strong> "schöne", auch hochbegabte Kinder, die<br />
unbewusst von ihrer Mutter oder ihrem Vater manipuliert oder instrumentalisiert, in<br />
eine "Isolierhaft" (Alice Miller) oder in ein "inneres Gefängnis" (Heinz-Peter Röhr)<br />
geraten. Meistens bleiben sie lebenslang gefühlsmäßig behindert <strong>und</strong> verkrüppelt,<br />
aber ihre häufig selbst gestörten Erzeuger, die das "Beste" wollten, sind oft stolz auf<br />
ihr Kunstprodukt, das sie mit Zuckerbrot <strong>und</strong> Peitsche dressiert haben. Sie erwarten<br />
dann auch noch Dank <strong>und</strong> Anerkennung dafür, dass sie lebende Ruinen mit einer<br />
nach außen beeindruckenden Fassade verblendet haben. Die von der<br />
Psychoanalyse kommende Psychotherapeutin Alice Miller hat dieses "Drama des<br />
begabten Kindes" einem breiten Leserkreis bekannt gemacht. 21<br />
Während die Umgangssprache den Eindruck vermittelt, Narzissmus sei übersteigerte<br />
Selbstliebe, handelt es sich genau um das Gegenteil: um die Unfähigkeit, sich selbst<br />
anzunehmen <strong>und</strong> zu lieben. Wer sich aber nicht selbst liebt, ist seelisch krank <strong>und</strong><br />
kann auch andere nicht lieben.<br />
Das wahre Selbst wurzelt in der Tiefe eigener Selbstwertgefühle sowie in der<br />
Kreativität <strong>und</strong> Sicherheit über das eigene Fühlen <strong>und</strong> Wollen - nicht in fremden,<br />
gehemmten, erzwungenen oder aufoktroyierten Gefühlen, Werten, Eigenschaften,<br />
Leistungen <strong>und</strong> Gaben. Wer so in sich gründet <strong>und</strong> ruht, muss sich nicht dauernd<br />
20 Heinz Kohut: Bemerkungen zur Bildung des Selbst (Brief an einen Schüler bezüglich einiger<br />
Prinzipien der psychoanalytischen Forschung). In: Heinz Kohut: Die Zukunft der Psychoanalyse.<br />
Aufsätze zu allgemeinen Themen <strong>und</strong> zur Psychologie des Selbst. Frankfurt a. M. 1975. Seiten 252ff.,<br />
255, 257f. Zum Es, Ich <strong>und</strong> Über-Ich <strong>als</strong> einer "hohen" Abstraktion des psychischen Apparats im<br />
Unterschied zur "verhältnismäßig niederen" Abstraktion des Selbst vgl. Heinz Kohut: Narzißmus. Eine<br />
Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Frankfurt a. M.<br />
1979. Seiten 14f.<br />
21 Alice Miller: Das Drama des begabten Kindes <strong>und</strong> die Suche nach dem wahren Selbst. Frankfurt a.<br />
M. 1979; Am Anfang war Erziehung. Frankfurt a. M. 1980; Du sollst nicht merken. Variationen über<br />
das Paradies-Thema. Frankfurt a. M. 1981; Das verbannte Wissen. Frankfurt a. M. 1988; Abbruch der<br />
Schweigemauer. Die Wahrheit der Fakten. Hamburg 1990. - In den Büchern Millers kommt die Rolle<br />
des Vaters zu kurz; in ihren ersten Werken bleibt sie ausgeklammert.<br />
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