Quellenarbeit als lebenslanges und neues Lernen - Deutschland ...
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Daher stellt sich heute, 40 Jahre nach Pichts Analyse die Frage, ob eine „deutsche<br />
Bildungskatastrophe" bevorstehe, mehr denn je. Drei Gründe sind dafür vor allem zu<br />
nennen:<br />
-1. dass soziale familiäre Barrieren fortbestehen, die den Bildungsweg weitgehend<br />
vorherbestimmen <strong>und</strong> festlegen. "Das wichtigste <strong>und</strong> das für mich<br />
bestürzendste Ergebnis", so B<strong>und</strong>espräsident Rau über die PISA-Studie I, "ist,<br />
dass der Schulerfolg eines Schülers oder einer Schülerin in keinem anderen<br />
Land in Europa so stark von der sozialen Herkunft abhängt wie bei uns in<br />
<strong>Deutschland</strong>." 43 Dies gilt auch für vergleichbare außereuropäische Staaten wie<br />
z.B. die USA 44 <strong>und</strong> z.T. sogar für Entwicklungsländer.<br />
-2. dass frühe, vom sozialen familiären Status unabhängige<br />
Sozialisationsstörungen zunehmen, die auf das Fehlen einer emotional<br />
„fördernden Umwelt" (Winnicott) zurückzuführen sind <strong>und</strong> in der Adoleszenz<br />
fortdauern. Wenn Familien <strong>und</strong> Familienbande zerfallen, sind Kinder meistens<br />
die Leidtragenden - auch dann, wenn Ehen emotional zerrüttet sind, aber<br />
scheinbar intakt fortbestehen, <strong>als</strong>o äußerlich „funktionieren". An die Stelle des<br />
von Freud <strong>und</strong> der traditionellen Psychoanalyse konstatierten „neurotischen"<br />
ödipalen Konfliktdreiecks, das zwischenmenschliche Objektbeziehungen<br />
zwischen Mutter-Vater-Kind voraussetzt <strong>und</strong> deren Erbe das Über-Ich ist, treten<br />
daher zunehmend narzisstische Entwicklungsstörungen <strong>als</strong> Primärdefekte. Da<br />
sie sich wie ein schwarzes Loch auswirken, unsichtbar, unergründlich <strong>und</strong> auch<br />
nicht messbar sind, werden sie von Soziologen <strong>und</strong> Bildungsforschern ignoriert<br />
<strong>und</strong> übersehen selbst dort, wo sie Familienkonstellationen analysieren. Dies gilt<br />
auch für die PISA-Studien. 45 Emotionale Phänomene wie familiäre<br />
Geborgenheit <strong>und</strong> Wärme, das Urvertrauen, die Eltern-Kind-Beziehung, die<br />
43 Grußwort des B<strong>und</strong>espräsidenten Rau beim Kongress "Qualität im Bildungswesen" der<br />
Gewerkschaft Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft in Berlin. In: Bulletin (Presse- <strong>und</strong> Informationsamt der<br />
B<strong>und</strong>esregierung) Nr. 102 vom 13. Dezember 2002. Dokument Nr. 102-3 (CD-ROM-Version).<br />
44 Dort vollzieht sich derzeit ein Wertewandel im Verhältnis Familienleben - Arbeitsplatz; vgl. dazu Arlie<br />
Russell Hochschild: Work-Life-Balance. Keine Zeit...Wenn die Firma zum Zuhause wird <strong>und</strong> zu Hause<br />
nur Arbeit wartet. Opladen 2002.<br />
45 PISA 2000, Seiten 323ff. untersuchen zwar ausführlich familiäre Lebensverhältnisse,<br />
Bildungsbeteiligung <strong>und</strong> Kompetenzerwerb, jedoch nur, soweit sie sich "erfassen" lassen, z. B. soziale<br />
Herkunft, ihre Indikatoren, Familientypen u.a. ( Seiten 326ff., 331ff., 478ff.) Der internationale<br />
Schülerfragebogen des Feldtests berücksichtigte jene Aspekte der "Eltern-Kind-Beziehungen, die mit<br />
der Bildung von sozialem Kapital zusammenhängen, unter anderem den Erziehungsstil des<br />
Elternhauses, die Häufigkeit, mit der sich die Eltern um das Fortkommen ihres Kindes in der Schule<br />
kümmern <strong>und</strong> es bei den Schularbeiten unterstützen" (Seite 333). Das affektiv-emotionale Klima, das<br />
Familie wesentlich prägt, bleibt damit weitgehend ausgeklammert. Harry Friebel, Heinrich Epskamp<br />
u.a. bemühten sich in ihrem empirischen Forschungsprojekt, auf der Basis des Teilsamples auch<br />
Eltern-Kind-Beziehungen auszufragen, z.B. die elterliche Kontrollhaltung, die Pole Liebe versus<br />
Feindseligkeit u.a. (Seiten 120f.). Ausgewertet wird fast nur soziologische Fachliteratur, wenig<br />
fächerübergreifende pädagogische <strong>und</strong> sehr wenig psychologische.<br />
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