Familienuntersuchung zum Gilles de la Tourette-Syndrom (pdf)
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Diskussion<br />
7.1.8 Definition <strong>de</strong>s Phänotyps<br />
Familiäre Erkrankungsraten sind maßgeblich durch <strong>de</strong>n festgelegten Phänotyp<br />
bestimmt; geringfügige Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Definition können daher zu divergieren<strong>de</strong>n<br />
Ergebnissen in Bezug auf <strong>de</strong>n Familienbefund führen. Die ersten Untersucher folgten wie<br />
bereits <strong>Gilles</strong> <strong>de</strong> <strong>la</strong> <strong>Tourette</strong> <strong>de</strong>r Annahme, dass chronisch multiple Tics als eine mil<strong>de</strong>re<br />
Ver<strong>la</strong>ufsform <strong>de</strong>s <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong>s zu betrachten sind (ELDRIDGE et al., 1977; SHAPIRO<br />
et al. 1972; MOLDOFSKY et al., 1974, KIDD et al., 1980). Umschriebene Diagnosekriterien<br />
waren zur damaligen Zeit allerdings noch nicht existent. Der Terminus "multiple" beinhaltete -<br />
soweit in <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Publikationen nachvollziehbar - das Vorhan<strong>de</strong>nsein von<br />
min<strong>de</strong>stens zwei Tics, wobei diese entwe<strong>de</strong>r motorischer o<strong>de</strong>r vokaler Natur sein konnten. Auch<br />
<strong>de</strong>r Begriff "chronisch" fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n frühen Arbeiten noch nicht explizit <strong>de</strong>finiert. Der<br />
durchschnittlich angegebenen Erkrankungsdauer zufolge dürfte dieser vermutlich jetzigen<br />
Vorstellungen entsprechen.<br />
Chronische Ticstörungen wer<strong>de</strong>n auch gegenwärtig, belegt durch empirische Untersuchungen<br />
(PAULS et al., 1981), <strong>de</strong>m <strong>Tourette</strong>-Spektrum zugeordnet. Nach <strong>de</strong>n K<strong>la</strong>ssifikationskriterien<br />
<strong>de</strong>s DSM III und DSM III-R umfasst diese Diagnose allerdings nicht nur multiple son<strong>de</strong>rn<br />
auch einzelne chronische Tics, die von ihrem Charakter jetzt wie<strong>de</strong>rum motorisch o<strong>de</strong>r vokal -<br />
aber nicht bei<strong>de</strong>s - sein dürfen. Überprüft man jüngere Familienstudien hinsichtlich <strong>de</strong>s von<br />
ihnen untersuchten Phänotyps, treten auch hier Unterschie<strong>de</strong> zutage. So berücksichtigen einige<br />
Untersucher neben einem <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> ausschließlich chronisch multiple Tics (EAPEN et<br />
al. 1993; PAULS et al., 1981/1984/1986; COMINGS et al., 1984), an<strong>de</strong>re einzelne und multiple<br />
chronische Tics (PAULS et al., 1991; COMINGS et al., 1989; WALKUP et al., 1996) und<br />
wie<strong>de</strong>rum an<strong>de</strong>re erfassen chronische (einzeln und multiple) und zusätzlich transiente<br />
Ver<strong>la</strong>ufsformen (PRICE et al., 1985; PITMAN et al., 1987). Derartige Differenzen in Bezug auf<br />
<strong>de</strong>n Phänotyp bedingen zwangsläufig unterschiedliche familiäre Erkrankungsraten.<br />
In Hinblick auf <strong>de</strong>n Phänotyp erscheint zu<strong>de</strong>m be<strong>de</strong>utsam, dass an<strong>de</strong>re <strong>Familienuntersuchung</strong>en<br />
trotz Anwendung gleicher K<strong>la</strong>ssifikationsschemata (DSM III-R) solche Tics unerwähnt <strong>la</strong>ssen,<br />
die <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r Nicht Näher Bezeichneten Ticstörungen zuzurechnen sind. Wie aber - so<br />
fragt man sich zwangsläufig - wur<strong>de</strong> in diesen Studien mit Betroffenen verfahren, die<br />
beispielsweise klinisch als ein <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> imponierten, aber erst jenseits <strong>de</strong>s 21.<br />
Lebensjahres erkrankten? Da entsprechen<strong>de</strong> Informationen fehlen, können zu diesem Punkt<br />
lediglich Speku<strong>la</strong>tionen angestellt wer<strong>de</strong>n. Denkbar erscheinen prinzipiell zwei Möglichkeiten:<br />
So könnten Tics <strong>de</strong>r besagten Kategorie entwe<strong>de</strong>r überhaupt nicht berücksichtigt o<strong>de</strong>r aber <strong>de</strong>r<br />
Gruppe <strong>de</strong>r Chronischen Ticstörungen zugeor<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n sein. Welche Vorgehensweise jeweils<br />
gewählt wur<strong>de</strong>, bleibt unk<strong>la</strong>r. Die familiären Raten für Chronische Ticstörungen erscheinen in<br />
Anbetracht dieser Phänotypdifferenzen nur eingeschränkt vergleichbar.<br />
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