Familienuntersuchung zum Gilles de la Tourette-Syndrom (pdf)
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Einleitung<br />
Extremitäten, seinem Nacken, seiner Zunge und seinen Lungen Besitz ergriffen und zwinge ihn<br />
dazu, Worte auszusprechen, Laute auszustoßen, beim Gebet plötzlich die Zunge herauszustrecken,<br />
o<strong>de</strong>r an Beinen, Armen, Nacken und Rumpf zu zucken. Der Exorzismus galt zur<br />
damaligen Zeit als "therapeutische Maßnahme erster Wahl", alternativ blieb oft nur die<br />
"reinigen<strong>de</strong> Kraft <strong>de</strong>s Feuers".<br />
Daß die Krankheit in je<strong>de</strong>m Volk, in je<strong>de</strong>r Kultur vorkommt und keine Gesellschaftsschichten<br />
verschont, zeigt die Zahl historischer Persönlichkeiten, <strong>de</strong>nen Wissenschaftler heute nachträglich<br />
eine Tic-Erkrankung attestieren: Ludwig XIV, Napoleon, Molière und Peter <strong>de</strong>r Große gehören<br />
hier ebenso dazu wie Wolfgang Ama<strong>de</strong>us Mozart.<br />
Die erste medizinische Abhandlung über das heute als <strong>Gilles</strong> <strong>de</strong> <strong>la</strong> <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> (TS)<br />
bezeichnete Krankheitsbild wur<strong>de</strong> erst vor gut 150 Jahren veröffentlicht. Sie stammt von <strong>de</strong>m<br />
französischen Neurologen Jacques Itard, <strong>de</strong>r 1825 eine Patientin adliger Herkunft mit <strong>de</strong>m<br />
mittlerweilen bekannt gewor<strong>de</strong>nen Namen Marquis <strong>de</strong> Dampierre beschrieb, welche unter einer<br />
seltenen Kombination von chronischen motorischen und vokalen Tics litt. Der Orginalbericht<br />
soll hier auszugsweise in <strong>de</strong>utscher Übersetzung (nach Rothenberger, 1992) wie<strong>de</strong>rgegeben<br />
wer<strong>de</strong>n (ITARD, 1825):<br />
"Frau von D. ....., <strong>de</strong>rzeit 26 Jahre, war, im Alter von 7 Jahren, betroffen von krampfhaften<br />
Kontraktionen <strong>de</strong>r Hand- und Armmuskeln, die sich vor allem in <strong>de</strong>n Augenblicken einstellten,<br />
in <strong>de</strong>nen das Kind versuchte zu schreiben und wobei sich sehr abrupt seine Hand von <strong>de</strong>n<br />
Buchstaben, die es gera<strong>de</strong> schreiben wollte, wegzog. Nach diesem Rucken wur<strong>de</strong>n die<br />
Bewegungen seiner Hand wie<strong>de</strong>r regulär und waren <strong>de</strong>m Willen unterworfen, bis daß eine<br />
an<strong>de</strong>re plötzliche Zuckung die Arbeit <strong>de</strong>r Hand von neuem unterbrach. Man sah in <strong>de</strong>m ganzen<br />
zuerst nur eine Art Lebhaftigkeit o<strong>de</strong>r Übermut, die, als sie sich mehr und mehr wie<strong>de</strong>rholten,<br />
<strong>zum</strong> Grund für Ta<strong>de</strong>l und Bestrafung wur<strong>de</strong>n, aber bald gewann man die Gewißheit, dass<br />
diese Bewegungen unwillkürlich und krampfhaft waren, und man sah daran auch die<br />
Musku<strong>la</strong>tur <strong>de</strong>r Schultern, <strong>de</strong>s Halses und <strong>de</strong>s Gesichtes teilnehmen. Es kam zu<br />
Körperverdrehungen und außeror<strong>de</strong>ntlichen Grimassen. Die Erkrankung schritt weiter fort,<br />
die Spasmen breiteten sich auf die Stimm- und Sprechorgane aus, diese junge Person hörte<br />
man bizarre Schreie und Worte ausstoßen, die überhaupt keinen Sinn ergaben, aber alles ohne<br />
dass ein Delirium vorgelegen hätte, ohne irgen<strong>de</strong>ine geistig-seelische Störung........ So kann es<br />
vorkommen, dass mitten in einer Unterhaltung, die sie beson<strong>de</strong>rs lebhaft interessiert, plötzlich,<br />
und ohne dass sie sich davor schützen kann, sie das unterbricht, was sie gera<strong>de</strong> sagt o<strong>de</strong>r<br />
wobei sie gera<strong>de</strong> zuhört und zwar durch bizarre Schreie und durch Worte, die sehr<br />
außergewöhnlich sind und die einen bek<strong>la</strong>genswerten Kontrast mit ihrem Erscheinungsbild<br />
und ihren vornehmen Manieren darstellen; die Worte sind meistens grobschlächtig, die<br />
Aussagen obszön und, was für sie und die Zuhörer nicht min<strong>de</strong>r lästig ist, die<br />
Ausdrucksweisen sind sehr grob, ungeschliffen o<strong>de</strong>r beinhalten wenig vorteilhafte Meinungen<br />
über einige <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Gesellschaft anwesen<strong>de</strong>n Personen........."<br />
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