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125 JahreSektion Gera (6,86 MB)

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den Haken nicht zu sehr zu belasten.<br />

Sigi hatte sich 15 Meter weiter oben nach<br />

einem abenteuerlichen Nachtquergang<br />

glücklich einen „Stehplatz mit Haken“<br />

ergattert, und stellte nun sarkastisch fest,<br />

dass man ja „nur“ sechs Stunden zu warten<br />

brauchte, was der Seilgefährte mit<br />

einer stoischen Ruhe hinnahm. Obwohl<br />

stehend von uns noch keiner geschlafen<br />

hatte, siegte manchmal doch die Müdigkeit,<br />

und ein kurzer Ruck am Seil rief<br />

uns dann verstört in die Wirklichkeit<br />

zurück. Wir durften nicht schlafen, denn<br />

dann überraschte uns die Kälte, und mit<br />

klammen Fingern und durchgefrorenen<br />

Beinen wäre ein extremes Weiterklettern<br />

unmöglich gewesen. So zählten wir nun<br />

gemeinsam immer wieder bis hundert<br />

und zurück und schlugen Arme und<br />

Beine im Takt gegen den Fels. Manchmal<br />

knurrten auch die Gedärme dazu, denn<br />

seit den zwei Schnitten früh war nichts<br />

Essbares mehr zu ihnen gelang.<br />

Als es endlich heller wurde, erfreute uns<br />

zusammen mit dem Morgengrauen das<br />

längst fällige Schneetreiben, das binnen<br />

fünf Minuten den ganzen Berg in herrliches<br />

Weiß hüllte. Noch kurz bevor der<br />

Schneesturm zum Schneeorkan wurde,<br />

lag die letzte technische Seillänge, die<br />

aber in keinem Vergleich zu den Schwierigkeiten<br />

des vorherigen Tages stand,<br />

hinter uns, und leichteres Gelände führte<br />

zum Ausstieg. Es war trotzdem noch<br />

eine große Anstrengung, den Haken<br />

und Holzkeilen zu folgen. Jede Windböe<br />

drohte unsere durchnässten und<br />

geschwächten Gestalten aus der Wand<br />

zu blasen, und es schien, dass der Schnee<br />

unsere Augenlider gewaltsam verkleben<br />

wollte. Als wir uns um eine Ecke schoben,<br />

blies der Sturm so stark, dass wir<br />

nicht mehr aufrecht stehen konnten.<br />

Plötzlich erkannten wir, dass wir auf<br />

dem Normalweg zum Mönch standen.<br />

Es war geschafft! Endlich wussten wir,<br />

woher die Stimmen von Matz und Manfred<br />

kamen, die uns schon ein paar Mal<br />

126<br />

der Wind zugeweht hatte. Sie lagen, um<br />

dem Schneesturm so wenig wie möglich<br />

Angriffsmöglichkeit zu bieten, schon<br />

zwei Stunden angeseilt auf dem Gipfel<br />

bereit, uns jederzeit zu helfen. Das war<br />

das „Hohe Lied der Kameradschaft“, das<br />

der Wind hier über die polnische Tatra<br />

blies. Und als sich unsere klammen Hände<br />

zum Bergsteigergruß fanden, da fühlten<br />

und wussten wir, dass wir zu viert<br />

diesen Kampf mit der Wand und dem<br />

Wetter bestanden hatten. Eigentlich zu<br />

Unrecht stehen nun nur zwei Namen im<br />

Buch der polnischen Bergwacht, in das<br />

die Begehungen der Mönch-Ostwand<br />

eingetragen werden. „25 Stunden mit Biwak“<br />

schrieben wir ein und stellten dabei<br />

fest, dass es die 28. Begehung dieser<br />

Wand und zum anderen noch die erste<br />

außerpolnische Durchsteigung war.<br />

Zum Abschluss noch ein paar Worte des<br />

Gedenkens! Man könnte es Schicksal<br />

oder Zufall nennen, für uns ist es eine<br />

Tragik sondersgleichen. Der beste polnische<br />

Bergsteiger, Erstbegeher der Mönch-<br />

Ostwand, Jan Dtugosz, verunglückte in<br />

demselben Schneetreiben, in dem wir<br />

um die letzten Meter der Wand kämpften,<br />

am Südgrat der Kirchturmspitze<br />

tödlich. Der Begeher der Dru-Westwand<br />

und Matterhorn-Nordwand (er war Ehrenmitglied<br />

der Haute Montagne, der<br />

französischen Bergsteigerorganisation)<br />

hatte uns also an seinem letzten Lebenstag<br />

mit der Mönch-Ostwand noch eine<br />

kleine Probe seines großen Könnens<br />

gegeben.<br />

Siegfried Weippert/Günter Heil (1962)

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