Husserl_Vorlesungen_zur_Phaenomenologie_des_inneren_Zeitbewusstseins
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191 Vorlefungen <strong>zur</strong> Phänomenologie <strong>des</strong> <strong>inneren</strong> Zeitbewußtkins. 385<br />
doch nicht die Dauer <strong>des</strong> Tones oder den Ton in feiner Dauer.<br />
Diefer als folcher ift ein Zeitobjekt. Dasfelbe gilt für eine Melodie, für<br />
jedwede Veränderung, aber auch je<strong>des</strong> Verharren als folcbes betrachtet.<br />
Nehmen wir das Beifpiel einer Melodie oder eines zufammen.<br />
hängenden Stückes einer Melodie. Die Sache fcheint zunächft<br />
fehr einfach: wir hören die Melodie, d. b. wir nehmen fie wahr,<br />
denn Hören ift ja Wahrnehmen. Indeffen der erfte Ton erklingt,<br />
kommt der zweite, dann der dritte ufw. Mühen wir nicht fagen:<br />
wenn der zweite Ton erklingt, fo höre ich i b n, aber ich höre den<br />
erften nicht mehr ufw.? Ich höre alio in Wahrheit nicht die Melodie,<br />
fondern nur den einzelnen gegenwärtigen Ton. Daß das abgelaufene<br />
Stück der Melodie für mich gegenftändlich ift, verdanke ich — fo<br />
wird man geneigt fein zu fagen — der Erinnerung; und daß ich, bei<br />
dem jeweiligen Ton angekommen, nicht vorausfete, daß das alles<br />
fei, verdanke ich der vorblickenden Erwartung. Bei diefer Erklärung<br />
können wir uns aber nicht beruhigen, denn alles Gefagte überträgt<br />
-ach auch auf den einzelnen Ton. Jeder Ton hat felbft eine zeitliche<br />
Extenfion, beim linfchlagen höre ich ihn als jett, beim Forttönen<br />
hat er aber ein immer neues Jett, und das jeweilig vorangehende<br />
wandelt fich in ein Vergangen. MN° höre ich jeweils nur die aktuelle<br />
Phafe <strong>des</strong> Tones, und die Objektität <strong>des</strong> ganzen dauernden Tones<br />
konftituiert fleh in einem Fiktkontinuum, das zu einem Teil Erinnerung,<br />
zu einem kleinften, punktuellen Teil Wahrnehmung und zu einem<br />
weiteren Teil Erwartung ift. Das fcheint auf Brentanos Lehre <strong>zur</strong>ückzuführen.<br />
Hier muß nun eine tiefere Finalyfe einfeten.<br />
§8. Immanente Zeitobjekte und ihre<br />
Erfcheinungsweifen.<br />
Wir fchalten jett alle tranfzendente Fiuffaffung und Setung aus<br />
und nehmen den Ton rein als hyletifches Datum. Er fängt an und<br />
hört auf, und feine ganze Dauereinheit, die Einheit <strong>des</strong> ganzen<br />
Vorgangs, in dem er anfängt und endet, »rückt« nach dem Enden<br />
in die immer fernere Vergangenheit. In diefem Zurückfinken »halte«<br />
ich ihn noch feft, habe ihn in einer »Retention«, und folange hie anhält,<br />
hat er feine eigene Zeitlichkeit, ift er derfelbe, feine Dauer ift<br />
diefelbe. Ich kann die Hufmerkfamkeit auf die Weife feines Gegebenfeins<br />
richten. Er und die Dauer, die er erfüllt, find in einer Kontinuität<br />
von »Weifen« bewußt, in einem »beftändigen Fluffe« ; ein<br />
Punkt, eine Phafe diefes Fluffes, heißt »Bewußtfein vom anhebenden<br />
Ton«, und darin ift der erfte Zeitpunkt der Dauer <strong>des</strong> Tones in<br />
der Weife <strong>des</strong> Jett bewußt. Der Ton ift gegeben, d. h. er ift als<br />
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