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die Lösung vorgeschlagen hat – Wessel, Brandes, Heimbs oder gar Zörner - ist unter den<br />

Beteiligten umstritten und aus den Quellen nicht eindeutig zu belegen. Jedenfalls spielen im<br />

Hintergrund neben der offiziellen Begründung, daß Hitler der krisengeschüttelten Braunschweiger<br />

Industrie Aufträge beschaffen soll, diverse Argumente eine Rolle. Sie werden später<br />

von wichtigen Akteuren auf bürgerlicher Seite – Roloff, Brandes, Küchenthal, Heimbs –<br />

vorgetragen: Hitlers Weltkriegsteilnahme rechtfertige die Einbürgerung. Wenn die Einbürgerung<br />

verweigert wird, zerbricht die Koalition, und die NSDAP wird durch Neuwahlen noch<br />

weiter gestärkt. Besser Hitler eine Wahlniederlage gegen Hindenburg erleiden zu lassen, <strong>als</strong><br />

ihn durch die Verweigerung der Einbürgerung zum Märtyrer zu machen. Die NSDAP müsse<br />

in die Verantwortung eingebunden und so gezähmt werden. Für die spätere Entwicklung sei<br />

die Einbürgerung bedeutungslos gewesen u.a. Warum spielt das Kaisenberg-Gutachten in den<br />

Braunschweiger Verhandlungen keine Rolle, obwohl es längst bekannt war? Gab es bereits<br />

das Signal aus Berlin, daß diese Karte nicht mehr gespielt werden würde?<br />

Allen Beteiligten muß dam<strong>als</strong> auch im Lichte ihrer Äußerungen nach 1945 die Bedeutung<br />

und Tragweite des Vorgangs bewußt gewesen sein, zumal die NS-Seite diese besonders herausstellt.<br />

Auch daß es sich trotz aller Bemühungen um einen legalen Anstrich um ein<br />

„Scheingeschäft“ gehandelt hat, muß allen klar gewesen sein. Nur die Einbürgerung via <strong>Prof</strong>essur<br />

war für das bürgerliche Lager unakzeptabel.<br />

Küchenthal hat wegen der Einbürgerung Hitlers auch persönlich motivierte Bedenken, daß<br />

er, da vom Reichsfinanzministerium beurlaubt, seine Rückfallposition verliert. Außerdem<br />

fürchtet er <strong>als</strong> Finanzminister, daß die Reichsregierung finanzielle Sanktionen gegenüber<br />

Braunschweig verhängt. Er will sich in Berlin bei diversen Dienststellen (Boden, Finanzministerium)<br />

rückversichern. Einen Rücktritt oder die Androhung des Rücktritts, um seine Unterschrift<br />

zu vermeiden, erwägt Küchenthal offenbar nicht. Dies wird ihm von Brandes nach<br />

1945 zum Vorwurf gemacht. Die Frage der Unterschrift ist jedenfalls im juristischen Sinne<br />

ein entscheidender Punkt für die Verantwortlichkeit.<br />

Abends informiert Küchenthal Klagges, daß die BEL mit der Einbürgerung einverstanden ist.<br />

Klagges bestätigt die Einigung mit Schreiben an Küchenthal.<br />

Goebbels notiert: „Zum Schluß noch einmal die Frage des Präsidentschaftskandidaten durchgesprochen.<br />

Hauptsache ist, daß jetzt das Schweigen gebrochen wird. Der Führer gibt mir die<br />

Erlaubnis, am Abend im Sportpalast vorzuprellen. Gott sei Dank!“ (Goebbels 1987, Teil I,<br />

Bd. 2, S. 130)<br />

Man merkt Goebbels die Erleichterung an. Ist er erleichtert, weil er an Hitler zu zweifeln<br />

begann? Oder weil das Schweigen sein Wahlkampfkonzept beeinträchtigt? Der Vorgang<br />

macht deutlich, daß Hitler irgendwann nicht länger zögern konnte, auch wenn die Einbürgerungsfrage<br />

immer noch nicht geklärt war. Der Wahlkampf verlangte einen organisatorischen<br />

Vorlauf (z.B. Entwurf und <strong>Dr</strong>uck von Hitler-Plakaten), der nicht zu ignorieren war. Je länger<br />

Hitler zögerte, desto mehr zweifelten seine Anhänger, was wiederum seine Wahlchancen reduzierte.<br />

Je mehr die Chancen beeinträchtigt wurden, desto riskanter wurde die Kandidatur.<br />

Insofern befand sich Hitler in einem Dilemma, das von Tag zu Tag größer wurde.<br />

Goebbels gibt abends auf einer Kundgebung im Berliner Sportpalast die geplante Kandidatur<br />

Hitlers bekannt, ohne auf die fehlende Staatsbürgerschaft einzugehen. Er löst damit einen<br />

zehnminütigen Jubel fanatisierter Anhänger aus. Die Rede ist der Auftakt zu Hitlers Wahlkampf.<br />

Damit scheitern die Verhandlungen innerhalb der Harzburger Front, einen gemeinsamen<br />

Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, endgültig.

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