Eine Theologie des Lebens. Dietrich Bonhoeffers - Universität ...

Wüstenberg 04.07. 11.08.2006 13:18 Uhr Seite 118
B. Von der Religionskritik zur Religionslosigkeit
Dazu wollen wir uns einem weitgehend unbeachtet gebliebenen
Feld der Bonhoeffer-Rezeption zuwenden. Neben
Dilthey (von 1931/32 an) gewinnt seit 1930 die pragmatische
Lebensphilosophie50 für Bonhoeffer an Bedeutung. Sie verbindet
sich für den USA-Stipendiaten hauptsächlich mit
dem Namen W. James.
»Ich las fast das gesamte philosophische Werk von William
James, das mich ungemein fesselte« – so Bonhoeffer in
einer Selbstaussage 1931.51 Besonders vertraut ist er offensichtlich
mit dem Religionsbegriff von W. James gewesen.
Bonhoeffer hielt ein Referat52 über die ›Conclusions‹ der ›Varieties
of religious experience‹, die ›Schlussfolgerungen‹,
die W. James aus seinen ›Vorlesungen über die pragmatische
Religionspsychologie‹ 1901/1902 zog.53 Er eröffnet
seine ›Schlußfolgerungen« (448 ff.), indem er erkenntnistheoretisch
an die historische Lebensphilosophie anknüpft
und sie fragend mit dem Religionsbegriff verbindet.
»Muß man annehmen, daß bei allen Menschen die Mischung von
Religion und anderen Elementen identisch sein sollte? Muß in der
Tat angenommen werden, daß die Biographien aller Menschen
50) Zum Begriff: Bonhoeffer selbst versteht den Pragmatismus, wie er
durch W. James begründet und zum Instrumentalismus durch
Dewey erweitert wurde, als »Lebensphilosophie« (DBW 10, 271).
51) DBW 10, 268.
52) Vgl. DBW 10, 408 f.
53) Eine dt. Übersetzung besorgte E. HERMS unter dem Titel ›Die Vielfalt
religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur‹,
1979 (= Vorlesungen). Wir folgen in der Darstellung und Zitation
dem dt. Text und in den Anmerkungen parallel dem amerikanischen
Original ›Conclusions to the varieties of religious experience‹,
in: The Writings of William James, herausgegeben von J. J. MC
ERMOTT, Chicago 1977, 758 ff. (= Conclusions).
118