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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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107Ich erinnere mich, wie der Schnitt rot, quer zum hingestreckten Körper des Heros fuhrund das Zittern der Menge fort auf ihn übertrug - ich erinnere mich, wie seine Arme undBeine zuckten und der Kopf hochfuhr und ihr Arm tief hinein in diesen hellen,hängenden Körper, der leere Luft griff und dessen Arme dennoch seitwärts hingen -erinnere mich, wie ihr Arm rot herausfuhr, mit einem zuckenden, tropfenden Bündel inder Hand, erinnere mich an den Schrei der Menge um mich herum und an dentremolierend hoch einsetzenden Gesang der Elevinnen und die Bewegung, mit der zweiden hellen, hängenden Körper vom Altar hinunter stiessen in die breite Rinne zwischenKalistatue und Altar - dort, wo ihre heiligen Tiere am Grund des Grabens warteten,brüllend und aufgeregt und einen Geruch ausströmend, der oben die ganze Plattformausfüllen musste.Ich erinnere mich an diesen Tag und an unser Land, an die Siedlungen und <strong>St</strong>ädte,deren jede eine solche Plattform besass, auf der einmal pro Jahr und Region ausgeübtwurde, was auf dem Haupttempel sieben Tage lang stattfand - zelebriert von derobersten ab Sarga des ganzen Landes, sieben Mal, und am höchsten, dem vierten Tag,gleichzeitig und überall und im ganzen Land.Doch ich erinnere mich nicht, in meiner Jugend Menschen gesehen zu haben, die Handin Hand gingen, Leute, die sich unter blühenden Büschen küssten oder über Weingläserhinweg tiefe Blicke tauschten. Ich erinnere mich nicht, dass Mütter von ihrenBesamergruppen schwärmten oder Lehrerinnen von ihren Liebsten nach dem Unterrichtabgeholt wurden.Und ich erinnere mich vor allen Dingen nicht daran, ob wir `Sperlinge` und `WeissenRatten` das bemerkten, denn wir hatten ein jugendliches Gefühl für Ungerechtigkeitenaber Keines mehr für die Bedürfnisse der eigenen Innereien. An dieser <strong>St</strong>elle sass derGlaube. Wir wollten gar nicht die Frauenwelt abschaffen, nur weiter reisen und lauterlachen dürfen und der eigentliche Hunger war untergegangen wie ein matter, rostigerFrachtkahn im Frühlingswind.Hannah war eine eher zarter gebaute Gestalt. Als sie sich nach zwei Tagen vorsichtig inder Koje aufrichten konnte und zum Kajütentisch hinüber tasten, sah ich, dass sie mirnur bis zur halben Gesichtshöhe reichte. Ihr Haar hatte, <strong>als</strong> es begann, nachzuwachsen,einen blauschwarzen Schimmer. Das Gesicht war rundlich geformt, der Mund sehr klein,schmal, und ihre Augen sehr gross, dunkel, wie aufgerissen in ständigem Erstarrenstehen geblieben. Hannah zuckte bei jedem lauten Wort, bei jeder heftigen Geste, wiesie, durch Böen und Wellen bedingt, dauernd in diesen leichten Kuttern anfallen,zusammen. Kam es hin und wieder, was ja in der Enge und bei diesem tagelangenLiegen im Nebel nicht erstaunlich war, zu kleineren Wortgefechten oder Reibereienzwischen zwei Besatzungsmitgliedern oder auch zwischen uns, rutschte irgendeiner einheftiges Wort gegenüber den an Bord befindlichen Kindern heraus, denen es ja in dieserEnge sehr an Bewegungsfreiheit mangelte, was sie bockig und zickig machte, zumalBuntstifte und Papier durch die Nebelverzögerung im Watt ausgegangen waren, so zogsie sich augenblicklich in ihre Koje zurück und weinte dort ängstlich still vor sich hin.Jan-San war ebenfalls eher von kleiner, fast hagerer <strong>St</strong>atur. Bekümmert sah er dasLeiden seiner Geliebten, lief nervös hin und her, wenn sie weinend in der Koje lag und

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