74sonst?" murmelte er und verschwand den dunklen Gang hinab.Auf dem Gummen im Jahr 135 ( 2135 n. d. Zt. )Erinnerungen sind Körpergefühle, Gerüche alter Hecken im Hochsommer, wie einer derverbotenen Männerautoren lange Jahre vor der so genannten zweiten Frauenbewegunggeschrieben hatte. Zimmerdecken, die die Köpfe zwischen hochgezogene Schulterndrücken, die Windstille auf dem Rasen zwischen den Mauern unser Lehrpavillon.Erinnerungen sind frauenzentriertes Lernen, mädchengerechter Unterricht, Körperarbeit,Selbstverteidigung und Bäumeklettern, Meditation und höhere Mathematik im Rahmender Pflichtfächer Astronomie und Geologie.Die Jungen wurden in den Provinzen auf ihr Leben vorbereitet, und die Lernpavillonswaren das best gehütetste Herz jedes <strong>St</strong>adtteils und jeder menschlichen Ansiedlungüberhaupt.Erinnerungen an Sport: Schneeballschlachten oder die kalten Duschen aufWanderungen. Erinnerungen an Unterricht, der zu achtzig Prozent im Freien aufumfriedeten Innenhöfen durchgeführt wurde, die vom Lärm der Aussenweltabgeschlossen waren, an klamme Finger und windige Tage ohne Konzentration.Erinnerungen an den Biologieunterricht mit seiner Überlegenheit von allem Weiblichen,der Urform der Zelle und dem Grundsatzstadium aller menschlichen Föten <strong>als</strong> einemweiblichen, das erst durch eine späte Prägung in Einzelfällen nach dem unerforschlichenRatschluss der Göttin zu einem männlichen Etwas degenerierte. Sichtbar schon imVoraus durch die Verkümmerung eines gesunden X-Chromosomen-Schenkels zu einemhalben Y-Chromosom.Jede Frau durfte jederzeit natürlich ohne Angabe von Gründen auch ein bereitsangefangenes Kind wieder aufhören, und ein wachsender Junge war einer derhäufigsten Gründe zur Beendigung einer Schwangerschaft überhaupt.Ich erinnere mich an die Zeit der Schule und erinnere mich doch nicht, <strong>als</strong> läge jenePhase hinter einem nebeligen Schleier in einer grauen Wattewand, Leben und Farbenund Intensitäten fanden nur ausserhalb, auf den Gassen der Sippenviertel, statt, in denWäldern der Umgebung - ja, sicher und wahrscheinlich sogar zu Hause, in dem kleinenHaus am Herd meiner ewig schimpfenden Mutter, inmitten stinkender Windeln und ewigtrocknender Handtücher über dem schlecht geputzten Herd.Das Schweinejohlen weckte mich, und ich betrachtete einige Minuten lang verschlafendie Carrees des kleinen Vorhangfetzens vor dem Fenster, durch die ein rötlichdämmriges Licht in meine Speisezimmerzelle fiel. Nebenan hörte ich Ella in der Küchemit den Holzbrettchen und Porzellanbechern klappern. Heinrich stellte mit einemgemütlichen "So!" einen Wassereimer in den Ausguss, und dann fiel es mir plötzlich ein:Diese Leichtigkeit der letzten Tage, dieses seltsam befreite Gefühl in mir trotz dieserbigott-engen Gemeinschaft, in deren Kreis ich mehrm<strong>als</strong> täglich in alle möglichen, wohlextra für mich aufgestellten Fettnäpfchen trat und so fleissig aneckte wie ich nurkonnte. Die Befreiung der letzten Tage kam von innen und hatte ebenso wenig mit dem
75hier praktizierten Christentum zu tun wie die Liebe von Frauen mit spätpatriarchalerGewalt: Ich hatte seit mindestens einer Woche nicht mehr an Maya gedacht! Ihr Bildschien wie versunken und ich gab mir innerlich einen lächelnden Puff: Ist es vielleichtnicht doch so, Johanna Helgesdott, kaum hast du wieder halbwegs normale,menschliche Gesellschaft, relativiert sich die schönste romantische Geschichte undschmilzt wie Schnee im Frühling?Ella rief gedämpft durch das Haus:"Essen fertig!"Und kaum blicken deine eigenen Augen wieder in andere, sind die hehren, grossenEwigkeitsgefühle, für die du immerhin bereit warst, allerlei auf dich zu nehmen, denBach herunter! War es das denn wert? Und die leblose Uniformpuppe auf demFlachdach unter dir?Natürlich erhielt ich hier auf Udars keinerlei konspirative Liebes- oder Abschiedsbriefemehr, die meine Gefühle weiterhin wach halten konnten.Aber irgendetwas in mir begann zu ahnen, dass es vielleicht noch um mehr gegangenwar <strong>als</strong> um das reine Begehren und die jugendlichen Verliebtheiten untereinander. Aberdass ich das nicht so gleich fassen konnte, ja, dass es vielleicht einiger weitererVerliebtheiten bräuchte, um, wie im Kontrast dazu, jene Geschichte zwischen MayaMargasdott ab Sarga und Johanna Helgesdott weiter und tiefer verstehen zu lernen.Vielleicht ging es gar nicht so sehr um uns beide <strong>als</strong> einzelne, isolierte Trägerinnenbestimmter Nahmen oder Funktionen sondern eher um das, was die Macht mit solchenisolierten Personen tun kann, die noch dazu ihre Liebe in die Schleier seltsamerHeimlichkeiten packen müssen.Ich hätte gerne gewusst, wie es Maja ging, was sie fühlte und dachte und ob die Gütedes Lebens ihr ebenfalls die heilsame Begegnung mit anderen, freundlichen Menschenermöglichte?Auch nach meinen konspirativen Freundinnen sehnte ich mich, nach ihren Plänen undnächtlichen Klettertouren, den subversiven Flugblättern und erlauschtenTempelgeheimnissen.Heimweh überkam mich, wenn ich Ella mit ihren Kindern sah, Heimweh nach derdämpfigen Küche meiner Mutter, ihren breiten, sicheren Hüften, den frechen Zwillingenund dem ewig verklebten Kleinstmädchen zwischen ihnen.In der Untersuchungshaft und in der Villa Garbo waren die Ereignisse so schrecklich,dass es keinen Raum mehr in mir für diese Gefühle gab, da Abscheu und Einsamkeitalles andere frassen. Doch hier, wo das Leben zwar seltsam und schwierig aber nichtbedrohlich war, fanden sie wieder ihre Wege durch meinen Körper und mittlerweileweckten die Erinnerungen an meine Schwestern, meine Mutter ebenso diesen stillenKrampf hinter der Nase, wie jene an Maja selbst.Wirklich, Udars' ambivalente Gegenwart tat mir gut. Als ich nun die Beine unter derDecke hervorzog und mich schwungvoll auf dem knarzenden <strong>St</strong>rohsack aufrichtete,probierte ich den Wunsch in mir aus, wie es denn wäre, wenn Sie hereinkäme, michmorgendlich mütterlich weckend, nicht <strong>als</strong> lachende Freundin über diese Langschläferin,sondern in einem dunkelrot-flauschigen Morgenmantel, wie ihn die Leute hier in dieserGemeinschaft sicherlich seit drei Generationen nicht mehr gesehen hatten: Ein Mantel,der von den Schultern des nackten Körpers glitte mit jener Geste des "Komm' her und
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