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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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127verstehen. Irgendwie gibt es immer, auch bei uns, Denunzianten. Unser zweiter Geigerwar garantiert nicht krank, doch wir vermissen ihn seit drei Wochen. Jakobs Tate, einalter Geigenbauer aus dem Schwarzenwald, ist auch verschwunden."Auf dem Gummen im Jahr 135 ( 2135 n. d. Zt. )Während ich dieses hier oben zwischen den klar aus dem blauen Himmel herausgemeisselten Bergspitzen niederschreibe, sehe ich die doppelte, übereinander gelagerteErinnerung, fühle jenen Moment, da die Unschuld vor Tate Martins Lächeln schwandund die Kindlichkeit endgültig in der Erinnerung zerbrach.Wie konnten wir jem<strong>als</strong> unsere Tates, unsere Brüder besuchen, <strong>als</strong> Jugendliche, mitihnen in neutralen Alpengegenden gemeinsam wandern und gleichzeitig Zugang habenzu den grossen Winterriten?Wie konnten wir gleichzeitig die Geschenke unserer Tates auspacken, vierundzwanzig<strong>St</strong>unden ehe die Kalistatue solche wie sie unter dem <strong>Dr</strong>öhnen der Trommelnverschlang?Wie konnten wir das leben, was wir lebten?Wir konnten es, denn wir vergassen in gleichem Masse das Lächeln und den Schmerz,vergassen, ebenso schnell wie wir sie sahen, die lebhaften Augenfältchen und dieauseinander klaffenden, weissen Körper vor dem Raubtiergrund.Weil wir alles vergassen, konnten wir leben. Aber da das Leben sich das Lieben suchtwie eine dürre Pflanze im Wüstengrund das Wasser, da aber die Liebe der Spaten zurErinnerung ist, denn ohne diese kann kein Mensch wirklich leben oder lieben, lerntenwir, uns zu erinnern. Wir erinnerten uns und konnten froh sein, nicht daran zu sterben.Sei es auf dem Tempeldach, sei es in den einsamen Villen oder in der Nebeldurchseuchten, kalten See.Die Erinnerung an Ella weckte mich gänzlich wieder auf, denn sie musste ich nichtvergessen, nicht unser Lachen und nicht unseren Abschied auf dem Schiff.Shulamith legte nachdenklich einen Finger an die Nase. "In der Männerprovinz gibt eswieder eine merkwürdige, ansteckende Krankheit und ihr bittet unsere Heiler, jemandenzu schicken, um nachzuschauen.""Frauenland hat doch eine ausgezeichnete medizinische Versorgung?" Warf ich fragendein und erinnerte mich mit Wärme an die gestohlenen Salicylpräparate, die nach langerZeit wieder die erste Botschaft meiner Freundinnen gewesen war."Oh, sicher, ausgezeichnet!" Shulamith verzog ihr Gesicht. "Für Husten, Schnupfen,gebrochene Beine, Magenkrebs und Haarausfall. Was denkst du, wie sie die grossenSeuchen des Spätpatriarchats ausrotteten, derer sie davor schon nicht Herr gewordenwaren?""Besserer Umweltschutz, sanfte Technologien. Aber ganze Gebiete sind auch noch bisheute abgesperrt. Keine patriarchale sexuelle Gewalt mehr, auch unter den Männern."Ich schaute sie fragend an."Ihr Dissidentinnen seid schon seltsam ambivalent." Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

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