62"Warum leben du Heinrich eigentlich hier? Ihr scheint nicht mit allem einverstanden zusein.""Heinz, das hast du ja gehört, ist hier <strong>als</strong> Kind angenommen worden. Pater John selbsthat ihn aufgezogen wie einen eigenen Sohn. Ich denke, er fühlt sich moralischverpflichtet. Es gibt wenig Leute hier im Wald, die auf offenem Feuer schmiedenkönnen, alte Wurstmaschinen wieder auf Trab bringen, Elektromotoren an Fahrräderanschliessen und anderes mehr. Seine leiblichen Eltern hinterliessen ihm ein paarBücher, die er <strong>als</strong> Junge durchgeackert hat. Er ist so etwas wie der Dorfmechanikushier.""Und du?""Ich?" Ella runzelte die Brauen und machte ein Gesicht, <strong>als</strong> dächte sie über die Motiveeiner Freundin nach und nicht über ihre eigenen. "Ja, ich stamme aus einer derGründerfamilien. Mein Vater kam früh bei der Jagd um, so eine alte Flinte explodiertenach hinten weg.""Und dann hat sich Pater John deiner angenommen, wie ein Vater.""Ja, das ist wohl nicht schwer herauszukriegen. Heinrich und Ella, die beidenWaisenkinder...""Lass' mich raten: Die ältere Frau im Versammlungshaus ist deine Mutter?""Ja, sie wurde so eine Art öffentliche Hausfrau, kocht für die ledigen Männer, kümmertsich ums Schweinefutter, hütet mal da, mal dort die Kinder, wenn es Grossarbeiten gibt.Und ausserdem ist sie mit ihren Kräutertees und Salben, den alten Hausmittelchen, diesie von ihrer Oma erbte, unsere Dorfheilerin.""Haben deine Töchter hier im Wald Schule?""Ja, Pater John und ein ehemaliger Priesteraspirant unterrichten sie." Ella verzogunwillkürlich das Gesicht. "So, wie wir schon unterrichtet wurden. Aber jetzt habe ichgenug erzählt. Ich will von dir hören." Sie goss mir den Rest Kaffee durch Sieb undblickte auf den Satz hinab. "Wenn ich könnte, würde ich unsere Zukunft herauslesen.Aber so etwas ist hier nicht gefragt." Sie kippte den Satz zurück. "Nun, wie war es beidir?"Ich erzählte Ella von meiner Kindheit, berichtete von unserer Gruppe, dann von Maya,und der alte Krampf stieg mir wieder einmal von hinten im H<strong>als</strong>e hoch, drückte auf Naseund Augen. Ich kniff diese zusammen, weil ich nicht weinen wollte, nicht hier in dieserdämmrigen, verräucherten Küche aus dem vorigen Jahrhundert unter Ellas forschendemBlick. Als ich endlich mit meiner verbitterten Erzählung in der Villa Garbo endete, vondem geilen Husarenjäckchen und seinen Manipulationen schwieg ich lieber in dieserfrommen Umgebung, legte sie mir ihre Hand auf den Arm."Die haben dir übel mitgespielt, was? Siehst du, das ist der Unterschied zwischen PaterJohn und deinen Magna Matres: Du weisst wenigstens vorher, woran du bist! Liebst dudiese Maya noch?""Ich weiss es nicht. Ich will sie wieder sehen und wissen, was aus ihr geworden ist.""Ja, du willst weg hier, klar.""Sobald es geht.""Ich glaube, du bist ziemlich treu, auch wenn du so ein bisschen die lockereRevoluzzerin spielst. Du hast viel auf dich genommen. Viele Konses, ich wohl auch,machen sich ein tolles Bild von der Frauenliebe. Wir glauben, dass Frauen dort alles
63erhalten, was ihnen die Männer nicht geben können, beim besten Willen nicht.""Ja, zumindest wird das bei uns im Frauenland auch immer so gesagt. Mir fehlt natürlichder Vergleich!""Na, siehst du, dafür bist du ja nun hier!""Ich glaube kaum, dass ich mich in einen Mann vergucke! Pater John würde solch einreuiges Schäfchen sicher freuen.""Na, dann eben in eine unglückliche Konse!" Ella lachte und schob ihren <strong>St</strong>uhl zurück."Dann bist du schneller draussen <strong>als</strong> du denkst. Aber damit hast du ja Erfahrung. Es istletztlich doch überall das gleiche, hm?" Sie räumte die Becher zum Spültrog."Ja. 'Wasch' dir die Hände!' sagte meine Mutter auch immer, dabei ist es doch alleineSache des Mädchens, ob sie sich ihre dreckigen Finger ins Maul stopfen will oder nicht.""Eben doch nicht ganz! Kleine Mädchen haben die Angewohnheit, ihre dreckigen Fingerin die Teller anderer Leute zu stecken. Das ist eben das Problem." Sie grinste und kaman die Türe."Und -" ich stand auf, "dass es <strong>Dr</strong>eck an den Händen gibt, den tausend TonnenSchmierseife nicht wieder abwaschen können!""Ja." Sie stand dicht vor mir und schaute mich nachdenklich an. "Das denke ich auch.Ich weiss nicht, ob ich dich für deine Erfahrung bewundern, beneiden oder bemitleidensoll." Sie musste den Kopf etwas schief legen, und die äusseren Ränder ihrer Augenzogen sich zusammen. So verharrte sie eine Weile, dann erwachte sie, schüttelte sichein wenig und hielt mir die Türe an. "Komm, Johanna, Auftritt Nummer zwei: DieFrauenversammlung."Auf dem Gummen im Jahr 135 ( 2135 n. d. Zt. )Ja, alt bin ich vielleicht geworden, mag sein, aber jenes süsse, innere Lächeln, dasurplötzlich aufwacht beim Anblick eines Gesichtes im Kerzenlicht, bei schnellen, hohenSchritten, die sich im Sonnen überfluteten Laub verlieren, beim Spüren einer trockenen,klaren Hand in der eigenen, heftig Pochenden, ein solches Lächeln steigt immer nochdann und wann in mir auf und wird mich wohl nie verlassen, so wie es mich ein Lebenlang begleitete, durch allen <strong>Dr</strong>eck und allen Triumph hindurch: Das Sehen der Schönheitin den Frauengestalten, das Erkennen von Liebe und das Lieben-Können <strong>als</strong> Erkennender Welt.Die jungen Frauen hier oben - mit 'jung' meine ich innerhalb der letzten fünfzig Jahregeboren - staunen auch heute noch über meine <strong>St</strong>ärke, den breiten Rücken, die fastquadratischen Hände, die stämmigen Beine. 'Wie musst du erst in unserem Altergewesen sein!' rufen sie und schielen, ein bisschen Schuld bewusst, an sich selber herabund ich murmele dann bescheiden etwas wie: 'Das Leben ist die beste Trainerin!'.Als ich jünger war, machten mich längere Phasen ohne erotische Kontakte nervös; ichneigte zu Abenteuern, leichtsinnigen Flirtereien, Kurzgeschichten und wilden Nächten.Ich flog ebenso oft aus zornigen Frauenbetten wie ich selber nächtens temperamentvollLoverinnen auf den Teppich beförderte. Aber neben alldem gab es immer diejahrelangen Freundschaften, später die treue Anhänglichkeit meiner jüngerenSchwestern und die Sicherheit, das Haus meiner Mutter jederzeit und unter welchen
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