64Umständen auch immer betreten zu dürfen.Nur einmal entstand ein Unterbruch: Die Liebe zu Maya und die Not gedrungenenHeimlichkeiten dabei entfremdeten mich seltsam von allen nahen Freundinnen.Es ist die Heimlichkeit, die uns lehrt, gewissermassen bei lebendigem Leibe schon zuvergessen und alle Zärtlichkeiten, alle Lust in einen schwarzen Rachen derNichterinnerung kippt.Ich war und bin bis heute eine nicht allzu grosse, freundlich gesagt 'gedrungen gebaute'Frau. Meine Mutter vererbte mir breite Hüften und die fatale Neigung zu Bauchansatz.Als Jugendliche hatte ich Pausbacken Und <strong>als</strong> mir endlich das Leben die pubertärenPickel gegen einige markante Gesichtslinien austauschte, begannen bereits Falten,meinen Unterbauch zu bedecken, Sommersprossen, ebenfalls von Mutter geerbt, dieArme. Dennoch mochte ich mich leiden und war sicher, irgendwo unter den MillionenFrauen der Erde gab es einige, die genau so was wie mich schön fanden. <strong>St</strong>atistischgesehen wäre ihre Zahl so gross, dass auch mir einige von diesen zusagen würden unddass sie dann noch in meiner <strong>St</strong>adt oder sonst in meiner Umgebung auftauchen würden,um Liebe und Leidenschaft auch in Taten umsetzen zu können.Wir wenigen alten Überlebenden aus der ersten Dissidentinnengeneration geniessennatürlich auch sonst ein hohes Ansehen. Vermutlich wäre es mir ein leichtes, meinenRuf <strong>als</strong> alte Heldin auszunutzen und Jüngere in meine Arme zu locken. Doch danachverlangt mir nicht mehr.Shulamith, einige Jahre jünger <strong>als</strong> ich und <strong>als</strong> mutmassliche Nachkommin ehemaligerHäuslebesitzer, hier oben Mitbegründerin unseres freien Dorfes, ist seit vielen Jahrenmeine Geliebte. Ihre dunklen Augen, ihre Schweizer, weiche Sprache eine Art Bordununter den vielfältigen Tönen und Begegnungen meines Lebens. Sie ist die Heilerin,Aertztin und Trösterin der Gemeinschaft. Ihr Ruf speist sich, im Gegensatz zu meinem,noch aus ihren Taten in der Gegenwart. Nicht aus einer zweifelhaften, ruhmvollenVergangenheit. Aber ihre helfende Aktivität, meine alte Kraft, all das macht mir nichtjene jugendliche Kraft der Liebe aus, die immer da war und immer bleiben wird.Vielleicht lag es an der Art meiner Mutter, die alle ihre Töchter trotz ihrer chronischenNörgeligkeit vorbehaltlos annahm. Ich hatte mein Leben lang keine Angst, nicht geliebtzu werden, keine Freundinnen zu haben, einsam zu sein. Nicht einmal in der perfidenIsolationshaft der Villa Garbo konnte dieser Glaube an mein Geliebtsein ganz übertöntwerden.Ich glaube bis heute daran, dass das unsere eigentliche Kraft und Utopie gewesen ist:Die Sicherheit, angenommen zu sein, unter welchen Bedingungen auch immer und dassein Keim von Fäulnis bereits in jenen Jahren entstand, <strong>als</strong> wir die Kraft und Macht derFrauenliebe verdrängten, verleugneten um politischer oder beruflicher Karrieren willen,vergassen und nicht erinnerten was einst Freude und politische Aufbruchsstimmunggewesen war.So, wie dieses Lächeln unwillkürlich in mir aufsteigen konnte, so wusste ich, stieg esauch in anderen Frauen auf. Das war das unsichtbare Netz, das uns trug, das eineganze Männer fixierte Welt verändert hatte und dessen Verlust jene kaum wieder gut zumachenden Risse oder Löcher gesetzt hatte, durch die erneut der grausame Atem ausallen unfreien Abgründen heraufwehen konnte.Oft hatte ich mich gefragt, wieso Frauen auf dieses Lächeln verzichten konnten?
65Welches Leben ihnen diese Kraft, zu sehen und gesehen zu werden, genommen hatte?Wie hoch der Preis sein musste, um mit der Seele diese innerste Kraft und Feinheit desGeliebtwerdens irgendeinem Teufel aus Macht und Abscheu zu verkaufen?Vielleicht hatte es in meinem Leben ja auch solche Momente gegeben: Das klatschendeAufschlagen der Hubschrauberpilotin und die nächtliche Erinnerung daran im Traumzum Beispiel, die mich meinen liessen, meine Hände könnten nie wieder die Haut eineranderen berühren; vielleicht die Erinnerung an die Perfiditäten der properenHusarenuniform, die mich vor jedem freundlichen Blick bereits eine innere Schrankeherunterfallen liessen, wie ich es an Bord des kleinen Schmuggelkutters tat. Doch schonAnnelieses, Franks und Pits Fürsorglichkeiten begannen, diesen Schock wiederaufzuweichen, und sicherlich war es Ellas Art, vor mir durch die Waldschneise zustreifen, die alleine, ohne, dass ich etwas dazu tat, dieser Glaswand aus Schrecken undBlut Risse versetzten. Jedes Schwingen ihres Rockes ein kleiner Spalt, und jedesNaseschnupfen ein rundes, staunendes Loch aus Gelächter und Erkenntnis, dass esdiese Welt noch gab: Eine Welt aus Gefühlen, Verwirrungen und frei gewählter Naivität.Ob auch Maja solche Momente der Gnade erleben durfte?Oder erlebte sie das Schlimmere: Zu fallen ohne aufgefangen zu sein, verdreckt ohnedie Möglichkeit einer Reinwaschung, Verrat geübt zu haben ohne Verzeihen?Meine Hosenbeine waren inzwischen nachgetrocknet und ich fragte mich im <strong>St</strong>illen,wann mir diese saubere Seelengemeinschaft wohl die angemessene Kleidung zuweisenwürde.Wir liefen wieder am See vorbei hinüber zu einem der ehemaligen Landabeiterhäuschen.Ella schielte an mir herab."Wir Frauen haben eine Art Kleidersammlung für dich veranstaltet. Der Packen wird dirdann gleich feierlich überreicht.""Hast du auch etwas gespendet?" Ich umfasste lächelnd mit einem Blick ihre lange,schlanke Gestalt, und sie schniefte belustigt."Zwei Paar frisch gestopfte Socken."Wir standen vor dem Häuschen. Ella klopfte an und rief gleichzeitig: "Wir sind da-ha!"Die Türe wurde aufgezogen, Laura schaute heraus und nickte bestätigend."Kommt herein. Ach, Ella! Rennst du wieder in Hosen durch das Dorf! Und Johannaauch! Wir hätten euch die Röcke herüberbringen müssen.""Hab's vergessen Mama!" Ella verzog die Mundwinkel und warf mir einen ernsten Blickzu. "Also, du weisst das ja schon: Das ist meine Mutter: Laura, Johanna.""Ich weiss." Laura führte uns durch einen niedrigen Gang. "Ich habe sie bei denMännern gesehen. Hat 'ne ziemlich grosse Klappe und lässt sich gerne bedienen!" Siestiess eine Türe am Ende des Ganges auf, und ich fuhr erschrocken einen Schritt zurück.Weite, knöchellange, wallende Gewänder, zu denen Röcke ja ohne Zweifel auch zuzählen sind, waren im Frauenland das Zeichen des spirituellen <strong>St</strong>andes und den MagnaMatres vorbehalten, den Priestern in den Heiligen Hainen sowie den Elevinnen ein Jahrvor ihrer Weihe.Vielleicht war Maya mittlerweile soweit, die Toga der spirituell fortgeschrittenenElevinnen zu tragen?
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