60"Oh, oh! Und wie seht ihr aus! Mindestens so abgerissen wie Johanna. Wascht euch ersteinmal die Hände.""Heisst du auch Anna?" Die kleinere von beiden baute sich breitbeinig vor mir auf undschaute mit grossen, braunen Augen unter einem blonden Kochtopfhaarschnitt zu mirhoch."Eigentlich Johanna.""Ich bin die Anna, und das da ist Lena." Sie deutete auf ihre ältere Schwester, die mitauf den Rücken verschränkten Händen den mutigen Vorstoss ihrer Schwester etwasneidisch verfolgte."Du bist unser erster Besuch, seit sie überhaupt auf der Welt sind. Kommt, wascht euchdie Hände, schüttelt die Ohren!" Heinz gab seiner ältesten Tochter einen aufmunterndenKlaps und schob sie Richtung Spülbecken."Anna aber auch!" maulte sie mit schrägem Blick, und ich nickte der Kleinen zu."Wir können ja bei Tisch weiterreden.""Normalerweise ist Anna noch feiger wie Lena. Du musst ihr mächtig Eindruck gemachthaben." Ella setzte sich, und auch ich zog mir einen <strong>St</strong>uhl heran. Lena, die zurück zumTisch gekommen war, schielte auf meine Hände."Hey - Mami, dürfen Dissi- Dissi- - dürfen die dreckige Hände haben?""Nein, natürlich nicht." Ella lächelte mich an. "Übelstes Mutter- und Konse-Gehabe:Geh', wasch' dir die Hände - aber nur, wenn du willst!"Neben dem <strong>St</strong>einguttrog stand auf einem dreibeinigen und groben Schemel ein grosserHolzkumpf voller Wasser. Ich schöpfte mit einer Metallkelle Wasser in ein kleinesMetallbecken, das im Trog stand, spülte meine Hände darin, und Heinz rief: "Die weissePampe daneben ist Schmierseife. Damit wirst du weiss wie Schnee!"Ich nahm eine Fingerspitze des weissen Glibberzeugs, verrieb das kaum schäumendeWaschmittel, schrubbte ein wenig mit einer ebenfalls dort liegenden, groben Bürstenach, spülte, trocknete meine Hände an einem undefinierbaren Leinenfetzen undkehrte zum Tisch zurück.Anna hatte den Platz rechts neben mir erobert, und Lena hockte schmollend mirgegenüber zwischen ihren Eltern."Dafür gehören die jetzt beide mir!" betonte sie und fasste Besitz ergreifend nach Ellaund Heinrich."Und Johanna mir! Gell, du gehörst jetzt mir! Bleibst du lange?"Obwohl Annas Augen dunkel waren, hatte ich das Gefühl, dass hin und wieder eineähnliche Intensität in ihnen aufschimmerte wie in den hellen Augen ihrer Mutter, der sieauch vom Gesichtsschnitt her sehr glich."Euer Pfarrer will, dass ich ein Buch über euch schreibe.""Und was willst du?" Lena hob plötzlich den Kopf und warf mir einen wachen Blick zu."Machst du das gerne? Ich kann nämlich auch schon schreiben.""Das weiss ich noch nicht. Ich bin doch erst zwei <strong>St</strong>unden oder so bei euch im Dorf.""Und dabei sind dir bereits eine Horde bigotter, alter Männer, zwei wilde, ungewascheneMädchen und eine Kleinfamilie alten <strong>St</strong>ils auf die Nerven gefallen." Heinrich erhob sichund nickte mir freundlich zu. "Aber du hast sicher Schlimmeres erlebt! Ich gehe wiederraus. Wir sind am Wurstkochen, und den Herrschaften ist wieder mal der Kesselverreckt. Aber mit Gottes und Heinrichs Hilfe gibt es zum Abendessen im ganzen Dorf
61heisse Blutwurst! Bis dann." Er stülpte sich seine Kappe über und verliess die Küche."Kann ich mit?" Lena rutschte vom <strong>St</strong>uhl und folgte ihm durch die Türe."Ich auch! Bis später!" stürzte Anna hinterher."Und was 'ne echte Konse ist, räumt nun brav den Tisch ab." Ella schüttelte versonnenden Kopf. "Wir sparen uns das und lassen die Sachen gleich stehen für heute Nacht. Ichweiss etwas Besseres!" Sie erhob sich, kramte in einem Wandschrank und zog eine festzugeschraubte Dose hervor. "Weisst du, was das ist?" Sie hielt mir die geöffnete Doseunter die Nase."Ja, Kaffee.""<strong>St</strong>immt. Nach Salz und Zucker der wertvollste <strong>St</strong>off in Udars. Ich mache uns eineTasse, zur Feier deiner Ankunft.""Ist Kaffee schwer für euch zu kriegen?""Ja. Den können wir natürlich hier im Norden nicht anbauen. Pit und seine Leuteschmuggeln hin und wieder welchen herüber, aber die Kutter haben nicht so viel Platzfür Luxuskonterbande. Es gibt wichtigere Dinge wie Nägel, Munition, Salz. Und dannmuss ja auch immer eine Ladung Fisch an Bord sein, falls sie mal kontrolliert werden."Sie rückte einen kleinen Topf mit Wasser über die Feuerstelle, schürte darunter dasFeuer hoch, und <strong>als</strong> das Wasser kochte, streute sie mit einem Holzlöffel, der in der Doselag, zweimal Kaffee in den Dampf hinein, zog den Topf vom Feuer und deckte ihn zu."So hat meine Mutter manches Mal Kaffee gekocht. Sie nannte das den 'Kaffee derUrmütter' und meinte, ein äusseres Zeichen des patriarchalen Verfalls sei die Einführungder Filtertüten gegen Ende der Fünfziger Jahre des letzten Männerjahrhundertsgewesen.""Und meine Oma sagte immer: 'Satz macht schön.' Hat sie Recht?"Ella stellte den Kaffeetopf auf den Tisch. Daneben lag ein kleines Metallsieb, standenZuckerwürfel und die Kanne mit Milch. Ich musste aberm<strong>als</strong> unwillkürlich lächeln undstellte fest, dass ich seit jenem trüben Vormittag in dem kuscheligenVernehmungszimmerchen nicht mehr so häufig hatte lachen müssen wie seit meinemLandgang bei Udars vor ungefähr einem halben Tag. Um Ellas Wesen lag eine Aura vonHeiterkeit, wie ihr Gang, leicht, aus Versehen fallengelassen, und wäre nicht das Anderegewesen, der prüfende Blick oder die leicht vorn übergebeugten Schultern, hätte ich esvielleicht 'oberflächlich' geschimpft: Eine oberflächliche Konse, die keine drei Meter weitüber Kinder, Küche und Ehemann herausdachte."Und, stimmt es?" Sie nahm ihren Becher Kaffee in beide Hände und drehte ihn vor demGesicht herum."Was?" ich rührte Kaffee, Milch und Zucker zusammen. "Omas Satz oder der Kaffee?""Beides natürlich!" Sie setzte die Tasse ab. "Aber jetzt erzähle endlich von dir! AlleMänner sind weg. Was glaubst du, wie sehr wir auf dich gewartet haben.""Wir?""Wir Frauen! Wir wollen wissen, wie ihr lebt. Alles! Und wenn du willst, erzählst du mirgenau, warum du geflohen bist!""Du hast es ja gehört: Ich habe mich in der Schicht vergriffen.""Ich denke, auch bei euch sind alle Menschen gleich?""Wohl genauso gleich wie die Leute von Udars, was?""Du hast gesehen, wie es hier zugeht und wer die Regeln setzt."
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