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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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134musste und solche Riesengeigen waren natürlich sowieso nur für die kräftigen Händeder Männer bestimmt.Hinter ihnen sah ich mir bekanntere Instrumente: Eine Ansammlung verschiedenerSchlaginstrumente: Pauken, Xylophone und Zimbeln, nach links schloss sich eine grosseGruppe mit Mundinstrumenten an, vor denen die Geiger sassen."Es gibt mehrere Sorten von Geigen, die unter dem Kinn gehalten werden." BegannShulamit mich aufzuklären. "Ganz links die Hohen, erste und zweite Geige, dann folgendie Bratschen, die da fast in der Mitte sitzen. Wenn du genau hinsiehst, kannst dumerken, dass die Bratschen ein ganzes klein bisschen grösser sind.""Und diese phallischen Dinger, an denen die Männer so komisch herumlutschen?"Links von mir sass die geschickte Fahrerin und lachte laut, ganz unpassend zu Saschasernsten Worten. Sie schlug sich auch gleich die Hand vor den Mund."Johanna, wer hat euch nur diesen Unsinn beigebracht? Ein Instrument, ach was jedesGerät überhaupt, ist weder männlich noch weiblich noch phallisch noch was-weis-ichsonstwas!Das sind so genannte Rohrblattinstrumente. Der Ton entsteht dadurch, dassdie Luft zwischen dem Mundstück und einem schmalen Plättchen, oder wie da rechts beiden Oboen durch eine Art schmalen Halm hindurchgepresst wird. Halm oder Plättchenvibrieren, das macht den Ton. Du hörst das gleich, sie näseln alle ein bisschen."Auch hinter den Mundinstrumenten, es gab noch golden schimmernde Trompeten undgewundene Hörner, sah ich einige Frauen sitzen und die Anführerin der Bratschen warebenfalls eine. Fragend schaute ich Shulamit an und sie nickte bestätigend."Die kommen aus den Grenzregionen. Vielleicht fensterln sie auch heimlich bei denMännern. Aber vor allen Dingen geht es ihnen um die Musik. Auf irgendwelchenverschlungenen Pfaden, vermutlich meistens durch ihre Mutterbrüder, haben sie vonklassischer Musik gehört und ein altes Instrument gelernt. Nun nehmen sie unterLebensgefahr an den Proben teil und fahren auf die subversiven Konzerte mit."Bei den Geigen erhob sich eine Frau. Sie blickte kurz in die Runde der Musikerinnen undMusiker, lächelte einem Herrn in schwarzem Anzug zu, der nun Saschas <strong>St</strong>elleeingenommen hatte, sich kurz zu den Zuhörern hinab verbeugte und ein kleines<strong>St</strong>öckchen aus der Tasche zog und nahm die Geige mit einer kurzen, ernsten Bewegungunter das Kinn. Der Mann mit dem <strong>St</strong>öckchen hob die Hände und dann zitterte der ersteGeigenton durch den hohen, so bunt ausgekleideten Raum. Meine Haare standen auf,ein Schauer lief mein Rückgrat hinab. Ich fasste Shulamits Hand, was immer wir inLiebesdingen ausgemacht hatten, hier brauchte ich Hilfe und die Vergewisserung, dassmich jemand hielte, dass ich nicht davonflöge, fortgerissen von einer unaussprechlichenSüssigkeit, einem Gefühl, <strong>als</strong> würde etwas für Augenblicke wahr, was alle Menschheit,Männer und Frauen, bis zu diesem Zeitpunkt noch nie hatten verwirklichen können, wassie erträumten und ersehnten und dennoch nicht fanden, eine Art Seeligkeit, wie nurLiebende sie teilen. Eine Seeligkeit für alle Leute, egal wo und wie, egal welchen Altersund Geschlechtes, egal, ob sie wenige waren oder ein ganzes Land."Du hast das erste Mal ein klassisches Konzert besucht?" Fragte mich Jan-Sanmitfühlend, <strong>als</strong> wir in der Pause Hannah und ihn, die in einer anderen <strong>St</strong>uhlreihegesessen hatten, auf den Fluren trafen.Ich konnte nur stumm nicken und unsere Fahrerin gab mir ein weiches Taschentuch,meine Nase zu schneuzen und die nassen Augen auszuwischen.

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