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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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113leichtesten Flügelschlag eines Vogels oder dem stillen Platschen eines Frosches imTeich. Wir rationierten unsere Vorräte, um so lange wie möglich menschliche Nähe zuvermeiden. Jeden Tag begutachteten wir zitternd die Länge der Haare, die auf Hannahsund Jan-Sans Köpfen nachwuchsen.In meiner Erinnerung ist es eine kurze, dunkle, ungewaschene, verfrorene Zeit.Das Licht erscheint erst wieder auf einem langen, Neon erleuchteten Krankenhausgang,in dem Jan-San und ich, inzwischen wieder halbwegs sauber gewaschen, gekleidet undaufgrund der Schmugglerverbindungen mit f<strong>als</strong>chen Papieren versehen auf einemBänkchen hocken, erschrocken die Ergebnisse abzuwarten, die die Untersuchung anHannah ergeben würde.Hannah hatte die nächtlichen <strong>St</strong>rapazen klaglos durchgehalten und selbst in jenem<strong>St</strong>adium absoluten Endes, der vereiterten Fussblasen, der entzündeten Intimbereicheund Pospalten, da wir uns kaum säubern konnten und der Vorrat an sauberer Wäschelängst dreimal umgewälzt war, den langsam auftretenden Mangelerscheinungen in Folgeder Proviantrationierung und unserer Erkältungen, nichts gesagt. Sich nur immerlängere Momente der nächtlichen Wanderungen und immer schwerer auf Jan-San odermir abgestützt. Selbst dann, <strong>als</strong> wir bereits den Inhalt ihres Rucksackes auf dieunserigen aufgeteilt hatten und meine Schulter rasend tobte, <strong>als</strong> fiele jeden Tag erneutein krachender Baumstamm auf sie herab mussten wir uns und Hannah hustend weiterschleppen. Die letzten Tage waren dann, gemessen an den zwei Wochen davor,verhältnismässig einfach gewesen. Zumindest was die Suche nach Unterschlupf undSchutz betraf, denn wir durchquerten die kilometerlangen Ruinengebiete jenerMegaansiedlung, die in spätpatriarchalen Zeiten ein mitteleuropäischerIndustrieballungsraum gewesen war. Nun war Ruhrloch eine Terra incognita, da keineder Frauenrepubliken dieses verseuchte und versiedelte Gelände übernehmen wollte. Andie hundert Kilometer lang und fünfzig Kilometer breit, lag es wie ein Riegel zwischenden niederländischen Frauenländern und Männerprovinzen, sowie den mittelländischenFrauenländern und der so genannten oberrheinischen Männerprovinz, die sich südlicheiner ähnlich aufgegebenen Ballungsstadtlandschaft durch das ganze breite Flusstal biszum Alpenrand hin zog. War dieses kleinere Ruinengebiet dennoch gut zu kontrollierenund von allerlei Gesindel und Widerständlerinnen freizuhalten, so entzog sich natürlichdie alte Ruhrkohlenmegapolis solchen Zugriffen. Es gab an einigen <strong>St</strong>ellen unterirdischeLager, verborgen instand gesetzte Häuserzeilen und geschützte, getarnte <strong>St</strong>adtkerne, indenen die verschiedensten kleine Gruppierungen lebten, überlebten, Schmuggel undVerbrechen organisierten oder auch bloss dazu da waren, solchen dahergelaufenenFremdlingen wie uns weiterzuhelfen. Die reichsten Gemeinschaften betrieben sogarkleinere Kraftwerke oder Motoren, so dass es Elektrizität oder andere Energieformengab.Hannah kippte einfach um, <strong>als</strong> wir endlich, wie verabredet, in dem kleinen Büroraum imdritten <strong>St</strong>ockwerk einer ehemaligen Tiefgarage standen, die durch zwei Generationenhindurch in ein weit verzweigtes Labyrinth von Wohneinheiten, Lagern und Werkstättenausgebaut worden war.Ulk blickte irritiert von ihrem Binokular hoch, mit dessen Hilfe sie unseren neuenAusweisen den letzten Schliff gab, stand auf und kam um den Schreibtisch herum aufJan-San zu, der Hannah gerade noch hatte auffangen können und vorsichtig zu Boden

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