112Regierungssitz in Hannover oder Brüssel gelenkt wurde, östlich an die Sperrgebiete umGreifswald, deren Ausdünstungen Heinrichs Eltern das Leben und ihn die Haare gekostethatten. Auch die alte Ruinenstadt an der Mündung der Alba, die längst aufgeben wordenwar, weil ihre <strong>St</strong>rassen und Dämme durch den gestiegenen Wasserstand der Nordsee injedem heftigen Wintersturm gefährdet waren, grenzte im Süden an Jütland und gehörtemehr oder minder zu jenen Gebieten, die keinerlei Regierungsgewalt mehrunterstanden.Nachdem wir die Wäldler mit all ihrem toten und lebendigen Inventar auf Lollandausgeschifft hatten, war Pit mit seinem Kutter aberm<strong>als</strong> durch den alten Kanal gefahren,welcher Ost- und Nordsee miteinander verband: Dieses Mal in westlicher Richtung. Ellabegleitete mich auf dieser Fahrt, welche uns in den weniger kontrollierten Winkelzwischen Ruinenstadt, Jütland und dem niederländischen Frauenland bringen sollte. DerPlan sah vor, uns durch die Ruinenstadt hindurch zu schlagen, dann am südlichen Randdes Niederlandes vorbei zu wandern, um die alte Ruhrkohlenmegapolis zu erreichen, wowieder dissidente Gruppierungen lebten, die uns weiter Richtung Süden helfen könnten."Wir brauchen eine <strong>St</strong>ory!" murmelte Hannah, <strong>als</strong> wir vom Deich herüber auf die Lichterblickten, die auch einen Teil des Himmels darüber rot anstrahlten. Jan-San zog ihreKappe vom Kopf und strich liebevoll über den nachdunkelnden Kopf."Wir brauchen Perücken, Liebste, oder ein Wunderhaarwuchsmittel!"Ich nickte bestätigend. "Wir müssen vorerst alle menschlichen Siedlungen meiden undnachts laufen.""Gut." Sie seufzte. "Wir haben ja lange genug still an Bord gesessen. Auf diese Artwerden auch die Schuhe wieder trocken."Alle fürchteten wir uns vor diesem Weg. Ich schätzte, dass wir wohl ca. drei Wochenvon der Ruinenstadt bis zur alten Megapolis benötigen würden, denn wir warengezwungen, zu Fuss zu gehen, da jegliches Fahrzeug mit geschorenenPriesteraspirantenköpfen an Bord zu auffallend und laut gewesen wäre. Was auchbedeutete, trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit, nirgendwo um Unterschlupf fragen zukönnen, keine Rasthäuser anzusteuern oder auf einsamen Landkollektiven im Heu zuübernachten!Die niederländischen Frauenländer und das Bayrischsprechende, in welchem ichaufgewachsen war und welches das bei weitem grossflächigste und mächtigste derneuen Frauenländer war, teilten sich in die dazwischen liegende mittelgebirgischeMännerprovinz, die im Osten durch die Alba und im Westen durch die Weser begrenztwurde. Unsere Wanderung sollte anfangs, von der Ruinenstadt aus nach Süden, an derniederländischen Grenze entlangführen und dieser dann weiter, Richtung Westen folgen.Später mussten wir noch durch die westlichen Ausläufer der Mittelgebirge, was aberwahrscheinlich weniger gefährlich sein würde, <strong>als</strong> die langen Fussmärsche durch dasfast flache, weidenreiche Gebiet des südlichen Niederlandes.In all meinen wilden Erinnerungen ist dieser dreiwöchige Fussmarsch im Spätherbst dasAnstrengendste, was ich jem<strong>als</strong> erlebt hatte. Wir liefen in der Nacht, wichen allenSiedlungen, Höfen, Dörfern und <strong>St</strong>ädten in grossem Bogen aus, schliefen, klamm undkalt aneinander gedrückt, flach und kurz tagsüber in irgendwelchen Wäldern,Moorhütten, abgelegenen Ruinen, leicht aufgeschreckt von jedem Geräusch, dem
113leichtesten Flügelschlag eines Vogels oder dem stillen Platschen eines Frosches imTeich. Wir rationierten unsere Vorräte, um so lange wie möglich menschliche Nähe zuvermeiden. Jeden Tag begutachteten wir zitternd die Länge der Haare, die auf Hannahsund Jan-Sans Köpfen nachwuchsen.In meiner Erinnerung ist es eine kurze, dunkle, ungewaschene, verfrorene Zeit.Das Licht erscheint erst wieder auf einem langen, Neon erleuchteten Krankenhausgang,in dem Jan-San und ich, inzwischen wieder halbwegs sauber gewaschen, gekleidet undaufgrund der Schmugglerverbindungen mit f<strong>als</strong>chen Papieren versehen auf einemBänkchen hocken, erschrocken die Ergebnisse abzuwarten, die die Untersuchung anHannah ergeben würde.Hannah hatte die nächtlichen <strong>St</strong>rapazen klaglos durchgehalten und selbst in jenem<strong>St</strong>adium absoluten Endes, der vereiterten Fussblasen, der entzündeten Intimbereicheund Pospalten, da wir uns kaum säubern konnten und der Vorrat an sauberer Wäschelängst dreimal umgewälzt war, den langsam auftretenden Mangelerscheinungen in Folgeder Proviantrationierung und unserer Erkältungen, nichts gesagt. Sich nur immerlängere Momente der nächtlichen Wanderungen und immer schwerer auf Jan-San odermir abgestützt. Selbst dann, <strong>als</strong> wir bereits den Inhalt ihres Rucksackes auf dieunserigen aufgeteilt hatten und meine Schulter rasend tobte, <strong>als</strong> fiele jeden Tag erneutein krachender Baumstamm auf sie herab mussten wir uns und Hannah hustend weiterschleppen. Die letzten Tage waren dann, gemessen an den zwei Wochen davor,verhältnismässig einfach gewesen. Zumindest was die Suche nach Unterschlupf undSchutz betraf, denn wir durchquerten die kilometerlangen Ruinengebiete jenerMegaansiedlung, die in spätpatriarchalen Zeiten ein mitteleuropäischerIndustrieballungsraum gewesen war. Nun war Ruhrloch eine Terra incognita, da keineder Frauenrepubliken dieses verseuchte und versiedelte Gelände übernehmen wollte. Andie hundert Kilometer lang und fünfzig Kilometer breit, lag es wie ein Riegel zwischenden niederländischen Frauenländern und Männerprovinzen, sowie den mittelländischenFrauenländern und der so genannten oberrheinischen Männerprovinz, die sich südlicheiner ähnlich aufgegebenen Ballungsstadtlandschaft durch das ganze breite Flusstal biszum Alpenrand hin zog. War dieses kleinere Ruinengebiet dennoch gut zu kontrollierenund von allerlei Gesindel und Widerständlerinnen freizuhalten, so entzog sich natürlichdie alte Ruhrkohlenmegapolis solchen Zugriffen. Es gab an einigen <strong>St</strong>ellen unterirdischeLager, verborgen instand gesetzte Häuserzeilen und geschützte, getarnte <strong>St</strong>adtkerne, indenen die verschiedensten kleine Gruppierungen lebten, überlebten, Schmuggel undVerbrechen organisierten oder auch bloss dazu da waren, solchen dahergelaufenenFremdlingen wie uns weiterzuhelfen. Die reichsten Gemeinschaften betrieben sogarkleinere Kraftwerke oder Motoren, so dass es Elektrizität oder andere Energieformengab.Hannah kippte einfach um, <strong>als</strong> wir endlich, wie verabredet, in dem kleinen Büroraum imdritten <strong>St</strong>ockwerk einer ehemaligen Tiefgarage standen, die durch zwei Generationenhindurch in ein weit verzweigtes Labyrinth von Wohneinheiten, Lagern und Werkstättenausgebaut worden war.Ulk blickte irritiert von ihrem Binokular hoch, mit dessen Hilfe sie unseren neuenAusweisen den letzten Schliff gab, stand auf und kam um den Schreibtisch herum aufJan-San zu, der Hannah gerade noch hatte auffangen können und vorsichtig zu Boden
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