116uns dann jeweils mit einem Tablett in der Hand, auf dem ein Becher heissenMilchkaffees, ein Teller mit Kartoffelbrei, Gemüse und gehacktem Fleisch stand, auf demGang vor dem Untersuchungszimmer ablieferte. Wir hatten gerade Alles heisshungrigaber in bedrücktem Schweigen verschlungen, <strong>als</strong> Shulamith unter der Türe erschien unduns hereinrief. Ihr Untersuchungszimmerchen bestand aus einer Bauch hohen Liege,einem Tisch mit Karteikasten, <strong>St</strong>ühlen und verschiedenen, mir unbekannten Apparaten.In einer Ecke war ein grosses Waschbecken, über dem ein durchsichtiges Wassergefäss,dessen rotes Lämpchen anzeigte, dass es aufgeheizt wurde, blubberte. Dicht danebenwar noch Platz für eine niedrige Sitzgruppe, welche um ein kleines Tischchen gruppiertwar. Shulamith wies uns dorthin und liess sich ebenfalls auf ein Polster fallen."Deine Freundin schläft jetzt und das sollte sie auch die nächsten Wochen tun!" Sieschaute Jan-San streng an und wandte sich mir zu. "Ich nehme an, es ist ihre eigeneIdee, das Kind wieder herauszuholen?"Ich nickte."Besteht eine Chance, sie davon abzuhalten?""Nein.""Sie wird es auch nicht schaffen, jedenfalls nicht in den nächsten Monaten. Eine Geburt,beinahe ertrunken, der seelische <strong>St</strong>ress und jetzt eure Nachtwanderungen! Das reichtaus, um kräftigere Leute unter die Erde zu bringen.""Sie ist zäh!""Sicher. Im Moment liegt die Gefahr für euer Vorhaben aber eben eher in ihr <strong>als</strong> beidem System. Es wird bald Winter, im Süden noch eher, wie hier im milderen Ruhrloch.Das hält sie nie durch.""Ich habe versucht, sie abzuhalten." Jan-San hob unwillkürlich die Hände."Natürlich ging das nicht!" Sie lächelte mir kurz zu. "Was hast du vor? Warum bist dudabei?""Sie haben mich um Hilfe und Begleitung gebeten.""Aber du hast noch ein eigenes Ziel?""Ja.""Und bist genau so wenig davon abzuhalten?""Genau so.""Kannst du auf sie warten?""Nein!""Würdest du zur Not vorerst einmal alleine weitergehen?"Ich schaute sie erstaunt an. Jan-San zog die Luft scharf durch die Nase."Du-" Sie wandte sich ihm zu. "musst einfach bei ihr bleiben, für den Heilungsprozess.Aber wenn sie nicht sicher weiss, dass ihr Ziel weiter verfolgt wird, kann ich für nichtsgarantieren. Ich schätze sie so ein, dass sie fähig ist, nachts aus dem Fenster zu kletternund alleine weiter zu laufen, oder? Sehe ich das richtig?"Jan-San und ich bestätigten das bedrückt."Gut, wir können sie hier nicht bewachen. Also: Gehst du alleine weiter?""Ja.""Du wirst auch einige Tage ausruhen müssen und was für deine Schulter tun, sonstbleibt dir da ein chronischer Schaden. Dann wirst du ihr in die Hand schwören, dass duihr Baby da 'rausholst. Dann kannst du wieder losziehen. Ist das in Ordnung?"
117Ich nickte erstaunt und sah plötzlich diesen stählernen Willen hinter einem schlankenGesicht, den schmalen Mund, den leicht schief geneigten Kopf und die kleinen, aberquadratischen Hände, die eine tönerne Frauenfigur, welche auf dem Tischchengestanden hatte, nachdenklich hin und her drehten, während sie mir mit offenen Augen,die wie kleine, schwarze Abgründe glänzten, streng ein wenig von unten herauf in dasGesicht sah.Jan-San bekam eine Schlafstatt in Hannahs Zimmer, mir wiesen sie einen kleinen Raumneben Shulamiths Untersuchungszimmer zu."Unser Schlafraum, wenn wir Nachtdienst schieben. Aber für ein paar Tage geht es auchauf den Sofas in meinem Zimmer, oder?"Shulamith war vor mir in den schmalen Raum hineingegangen. Am Ende unter einemdie ganze Wandbreite einnehmenden Fenster stand ein kleiner Schreibtisch, vorne beider Türe das Bett und links ein hölzerner, fein gemaserter, heller Schrank ausBirkenholz."Die Frau, die euch gefahren hat-" Shulamith pochte mit der Faust gegen das Holz."gräbt solche Möbel aus den Trümmern und restauriert sie unten in ihrerKellerwerkstatt. Dann verteilt sie sie auf das Haus. Schön, oder?"Ich nickte. Mein Blick wanderte hinüber zu dem wohl ebenfalls ausgegrabenen, feingemaserten Sekretär, hinaus durch das Fenster, das vollkommen durch die hohenTannen zugestellt war."Ihre Initiative hat während fünf Jahren sogar ein ganzes, kleines Barockschlösschenrestauriert. Aber Altertümer interessieren dich nicht so, oder? Du möchtest eigentlichwieder weiter schreiben, oder?"Bei der letzten, stark Dialekt gefärbten Frage sank ihre <strong>St</strong>imme etwas und ihre Sprachewurde noch weicher und rollender wie vorher."Ja. Lustigerweise würde ich tatsächlich gerne den Auftrag der frommen Männer aufRügen zuende führen. Wenn natürlich wohl auch nicht so ganz in ihrem Sinne." Ichversuchte, nachzudenken, wann ich das letzte Mal einen <strong>St</strong>ift in der Hand gehabt hatte.In Ellas Kammer, auf dem Bett hockend, Liebesgedichte schreibend, die allesamt in ihreHände wanderten und nun irgendwo in einer Kiste im <strong>St</strong>auraum von Pits Kutter ruhten."Würdest du lieber bei uns bleiben und schreiben?" Sie schaute mich nachdenklich an,wie ein Kind vielleicht aus dunklen Fensterscheiben versucht, Schatten auf den <strong>St</strong>rassenzu erkennen."Nein, das nicht.""Die Sache muss dir ja sehr wichtig sein."Ich nickte. Aber ihr forschender Blick trieb jenes <strong>Dr</strong>uckgefühl hinter meinerGesichtsmaske zurück. Vielleicht konnte ich um Ella weinen, denn das war das Normale,wenig Verwickelte, aus dem der <strong>St</strong>off vieler <strong>St</strong>ücke geschrieben wurde: Einfach genugund doch anregend für einen katharsischen Theaterabend.Doch um Maya zu weinen, bis auf das eine Mal an Hannahs Koje, schien unmöglich,denn es hätte bedeutet, um mich selber zu weinen und das ging tiefer <strong>als</strong> einschwankender Kajütenboden reicht: Es hätte den Boden der Welt selber, meiner Welt,erschüttert, aufgebrochen und mich hineingestürzt. Es ging auch nicht unter den Blickendieser schwarzen Augen, dieser gerunzelten <strong>St</strong>irn, denen ich mich ausgesetzt fühlte:Frau ohne Boden, Frau ohne Zeit.
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