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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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117Ich nickte erstaunt und sah plötzlich diesen stählernen Willen hinter einem schlankenGesicht, den schmalen Mund, den leicht schief geneigten Kopf und die kleinen, aberquadratischen Hände, die eine tönerne Frauenfigur, welche auf dem Tischchengestanden hatte, nachdenklich hin und her drehten, während sie mir mit offenen Augen,die wie kleine, schwarze Abgründe glänzten, streng ein wenig von unten herauf in dasGesicht sah.Jan-San bekam eine Schlafstatt in Hannahs Zimmer, mir wiesen sie einen kleinen Raumneben Shulamiths Untersuchungszimmer zu."Unser Schlafraum, wenn wir Nachtdienst schieben. Aber für ein paar Tage geht es auchauf den Sofas in meinem Zimmer, oder?"Shulamith war vor mir in den schmalen Raum hineingegangen. Am Ende unter einemdie ganze Wandbreite einnehmenden Fenster stand ein kleiner Schreibtisch, vorne beider Türe das Bett und links ein hölzerner, fein gemaserter, heller Schrank ausBirkenholz."Die Frau, die euch gefahren hat-" Shulamith pochte mit der Faust gegen das Holz."gräbt solche Möbel aus den Trümmern und restauriert sie unten in ihrerKellerwerkstatt. Dann verteilt sie sie auf das Haus. Schön, oder?"Ich nickte. Mein Blick wanderte hinüber zu dem wohl ebenfalls ausgegrabenen, feingemaserten Sekretär, hinaus durch das Fenster, das vollkommen durch die hohenTannen zugestellt war."Ihre Initiative hat während fünf Jahren sogar ein ganzes, kleines Barockschlösschenrestauriert. Aber Altertümer interessieren dich nicht so, oder? Du möchtest eigentlichwieder weiter schreiben, oder?"Bei der letzten, stark Dialekt gefärbten Frage sank ihre <strong>St</strong>imme etwas und ihre Sprachewurde noch weicher und rollender wie vorher."Ja. Lustigerweise würde ich tatsächlich gerne den Auftrag der frommen Männer aufRügen zuende führen. Wenn natürlich wohl auch nicht so ganz in ihrem Sinne." Ichversuchte, nachzudenken, wann ich das letzte Mal einen <strong>St</strong>ift in der Hand gehabt hatte.In Ellas Kammer, auf dem Bett hockend, Liebesgedichte schreibend, die allesamt in ihreHände wanderten und nun irgendwo in einer Kiste im <strong>St</strong>auraum von Pits Kutter ruhten."Würdest du lieber bei uns bleiben und schreiben?" Sie schaute mich nachdenklich an,wie ein Kind vielleicht aus dunklen Fensterscheiben versucht, Schatten auf den <strong>St</strong>rassenzu erkennen."Nein, das nicht.""Die Sache muss dir ja sehr wichtig sein."Ich nickte. Aber ihr forschender Blick trieb jenes <strong>Dr</strong>uckgefühl hinter meinerGesichtsmaske zurück. Vielleicht konnte ich um Ella weinen, denn das war das Normale,wenig Verwickelte, aus dem der <strong>St</strong>off vieler <strong>St</strong>ücke geschrieben wurde: Einfach genugund doch anregend für einen katharsischen Theaterabend.Doch um Maya zu weinen, bis auf das eine Mal an Hannahs Koje, schien unmöglich,denn es hätte bedeutet, um mich selber zu weinen und das ging tiefer <strong>als</strong> einschwankender Kajütenboden reicht: Es hätte den Boden der Welt selber, meiner Welt,erschüttert, aufgebrochen und mich hineingestürzt. Es ging auch nicht unter den Blickendieser schwarzen Augen, dieser gerunzelten <strong>St</strong>irn, denen ich mich ausgesetzt fühlte:Frau ohne Boden, Frau ohne Zeit.

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