148wollen. Die Göttin gebe, dass niemand erwacht, auch Maya nicht.""Und wenn?" Sie schaute mich aus ihren grossen, dunklen Augen an. Ich zuckte mit denAchseln."Ich liebe dich, das weisst du." Sie seufzte." Auch wenn ich mich wohlweisslich liebernoch etwas bei dir zurückhalte.""Ja, ich dich auch. Jetzt höre auf zu denken und zu fragen, sonst kehre ich um, und wirtreten mit leeren Händen vor Hannah und Jan-San.""Wie erreichst du das Sims? Der Efeustamm ist doch nur bis hier in meine Kopfhöhetragfähig?""Dahinter versteckt läuft der Blitzableiter. Ein Fuss auf dem Efeu, rechte Hand am <strong>Dr</strong>aht,linke Hand aufs Sims. Rechte Hand zieht, linke zieht, rechte greift höher, linkes Beinaufs Sims...""<strong>St</strong>opp, stopp!" Shulamith hob die Hände. "Du hast mir mal erzählt, dass du Klimmzügehasst.""Genau und das Schreien kleiner Babys. Das wird ein Fest!"Shulamith nahm meinen Kopf."Du bist eine ekelhafte Macholesbe!""Nein, sondern ein saufaules, sehr ängstliches Lebewesen. Wenn dir noch mehrProbleme einfallen, kehre ich um."Wir küssten uns.Shulamith hockte sich in den Schatten der Häuserecke und ich erreichte wider Erwartendas Sims ohne grössere Schwierigkeiten. Das Leben in frommer Landgemeinschaft, anBord des Kutters und die unendlichen Wanderungen durch dieses zerschlissene Landhatten mich unglaublich gut trainiert. Selbst meine Schulter schmerzte bei dieserKlimmaktion nicht mehr. Auf dem schmalen Sims balancierend kam mir der Verdacht,dass sich sogar meine eigentlich etwas gedrungene Gestalt diesem beweglichenFluchtleben angepasst hatte, oder auch meine Nahrungs ablehnende Angst in denletzten Tagen, die mich nun ohne grossen Platzmangel von Hüfte und Bauch auf demSims entlang schleichen liessen.Ich sie, schneller <strong>als</strong> ich erwartet hatte und konnte mich gerade noch daran hindern,einen erschrockenen Schritt zurück zu tun, der mir unweigerlich das Genick drunten aufden <strong>St</strong>einkanten der exotischen Blumenbeete gebrochen hätte! Maya ruhte hinter demvierten Fenster der Ostfront des Hauses, voll im Schimmer der Mondin, bereit, jeglichesLicht der Morgensonne in ihr privilegiertes Gesicht scheinen zu lassen. Wir musstennicht mal um die Ecke gehen.Es war Maya, wie ich sie kannte aus zahlreichen Liebesnächten in den heimlichenHöhlen und abgelegenen Teppichkammern, herber und hagerer, mit einem Mund, <strong>als</strong>zögen sämtliche Salizylsäurepräparate der Welt ihre Lippen zusammen. Ich wollte hineinund ihr über den Kopf streichen. Ich hielt die Luft an, wollte rufen, singen, sagen:Komm', alles vergeben und vorbei, vergessen, die Welt ist offen für uns! Lass' unsdavonlaufen und wieder lachen!Doch dann sah ich das Kind!Die anderen drei Babys, die ich durch die Fenster gesehen hatte, lagen neben ihrenMüttern in den Armbeugen, in den breiten Betten, versteckt, kaum zwischen Deckenund Kissen zu erkennen. Doch dieses hier lag alleine in seinem Gitterbettchen am
149Fussende von Mayas Bett, tatsächlich schon jetzt mit einem helmartigen Flaumschwarzer Haare auf dem Kopf, geballten Fäusten im Schlaf und der Kopfform einerkleinen Samurai. Sämtliche Vorfahren Jan-Sans schienen sich hier versammelt zu haben.Das Kind öffnete die Augen, sein Blick fiel aus allen geraubten Tiefen direkt auf mich,die ich da am Fenster lehnte und gaffte. Es war das 'Verlass mich nicht!' in ihrenSeeaugen, die das Gesicht zur schmalen Insel machten. Es war die masslose undmagere Einsamkeit eines kleinen Säuglings, der nicht oder nur zum Schein geliebtwurde, der niem<strong>als</strong> Süsse und Gesundheit aus der Brust der eigenen Mutter schlürfendurfte, nie das ehrlich entzückte Gestammel aus tiefster Seele jener Leute hören durfte,die es wirklich wollten und liebten und alle Lebensgefahren auf sich genommen hatten,dieser Liebe Gestalt und einen Namen zu geben."Sie küsst dich nicht. Das sehe ich von hier." Murmelte ich und kramte denGlasschneider hervor.Mich hatte sie geküsst, gestreichelt und angefasst! In meinen Augen hatte sie gelacht,junge Katzen am Hang liebkost und einem fremden Kind, das uns einmal zufällig überden Weg gelaufen war, den Kopf gestreichelt."Was haben sie, Maja, und was hast du, mit dir gemacht?"Der Klebestreifen hielt das herausgeschnittene <strong>St</strong>ück Glas fest, ehe es herunterklirrenkonnte. Ich nahm es ab und schob meine Hand vorsichtig durch das Loch, um denFensterriegel innen zu erreichen. Die schwarzen Augen des Kindes waren unverwandtauf mich gerichtet. Maya bewegte sich unruhig, denn natürlich hatte ich das leise,schabende Geräusch des Glasschneidens nicht vermeiden können. Sie drehte dasGesicht aus dem hellen Mondlicht. Ich öffnete mit einem raschen Ruck das Fenster, glittüber die Fensterbank, drückte das Fenster wieder zu und lag schon flach auf demBoden, ausserhalb ihres Gesichtsfeldes, ehe sie sich auch nur hätte wieder umdrehenkönnen.Vielleicht sollte ich zu ihr gehen, ihre Hände fassen, diesen sorgenvollen Krampf ausdem Gesicht küssen? Vielleicht würde sie schreien? Lächeln? Mich auch verraten?Doch da lag dieses einsame Mädchen!Mir fielen die Verse einer spätpatriarchalen Autorin ein, die ihre eigenen Erlebnisse ineinem Säuglingsheim beschrieben hatte. Das Wort 'Gitterstäbe', das auftauchte indiesen Versen, quer lag zwischen jeder <strong>St</strong>rophe wie eine machtvolle Barriere, die Gitter,die später den Leib durchziehen, wenn dergleichen Kindheit überlebt wird, und nochspäter sich nieder senken zwischen der Überlebenden und dem Rest der Welt. DieseFrau hatte geschrieben, dass die Gitter ewig bleiben und keine Hände durchzureichenimstande wären, kein Kuss heiss genug, sie zu schmelzen, keine Liebe gross genug, siezu sprengen. Sie hatte auch geschrieben, dass die Gitter weiterwandern, von Generationzu Generation, dass es Familien gebe, die seien tödlicher <strong>als</strong> jedes Säuglingsheim.Dieser Text war in unserer Schule ein beliebter Abschreckungstext gewesen. AlleSchülerinnen lernten das Gedicht <strong>als</strong> Beispiel, wie abscheulich doch das Patriarchat zuFrauen und Kindern gewesen war und wie erste feministische Autorinnen sich darausfrei geschrieben hatten. Doch gerade diese letzte <strong>St</strong>rophe hatte mir immer zu denkengegeben! Ich musste in jener Zeit, <strong>als</strong> wir das Gedicht in unseren Licht durchflutetenInnenhöfen besprachen, so ungeheuer oft meine Mutter anfassen, anschauen und nachNichtigkeiten fragen, dass sie schon ganz rappelig wurde, denn ich fürchtete diese Gitter
- Seite 1:
1Martina SchäferH E R O S T O DWid
- Seite 4 und 5:
4Register der wichtigsten Personen
- Seite 6 und 7:
6Groschenromane! Diese Groschenroma
- Seite 8 und 9:
8Es war auch sonst nicht mehr, was
- Seite 10 und 11:
10ist es. Ich belüge Sie schon nic
- Seite 12 und 13:
12postpatriarchal gekennzeichnet. I
- Seite 14 und 15:
14kleinen Mädchen oder Säuglinge
- Seite 16 und 17:
16Atem rauben konnten. Das gleiche
- Seite 18 und 19:
18sodass die Hunde genügend Zeit h
- Seite 20 und 21:
20von Jugend auf!Der Park der Villa
- Seite 22 und 23:
22Unter einem Küchenfenster führt
- Seite 24 und 25:
24hatten, dass nicht die Armut nack
- Seite 26 und 27:
26"Es gibt andere Werte!" Sie griff
- Seite 28 und 29:
28Brüste. Ich verfluchte den Mange
- Seite 30 und 31:
30verboten und wurden, soweit das m
- Seite 32:
32Blutung das erste Mal in Anspruch
- Seite 35 und 36:
35Seite der Mauer angekommen war.Dr
- Seite 37 und 38:
37Seine Frau tanzte aussen herum mi
- Seite 39 und 40:
39Husarenuniformjäckchen und schlu
- Seite 41 und 42:
41Herz aus einem zuckenden Körper
- Seite 43 und 44:
43Zartheit und Leichtigkeit einst a
- Seite 45 und 46:
45Ich hatte das Meer geliebt, das M
- Seite 47 und 48:
47"Mit Anzug und Bleischürze, wie
- Seite 49 und 50:
49ihn als Puppenbettchen gebraucht.
- Seite 51 und 52:
51Männer selber!""Das war an Bord
- Seite 53 und 54:
53räusperte sich indigniert."So et
- Seite 55 und 56:
55und stossend daran, ihre Beine au
- Seite 57 und 58:
57versammeln sich hier viel zu viel
- Seite 59 und 60:
59gesamte Erdgeschoss einnahm, sah
- Seite 61 und 62:
61heisse Blutwurst! Bis dann." Er s
- Seite 63 und 64:
63erhalten, was ihnen die Männer n
- Seite 65 und 66:
65Welches Leben ihnen diese Kraft,
- Seite 67 und 68:
67Laura starrte mich störrisch an.
- Seite 69 und 70:
69länger als das Bett, reichte der
- Seite 71 und 72:
71Schule abhalten, Versammlungen -"
- Seite 73 und 74:
73"Ja. Du bist ein gutes, einsichti
- Seite 75 und 76:
75hier praktizierten Christentum zu
- Seite 77 und 78:
77brühte das wertvolle Pulver auf
- Seite 79 und 80:
79"Gab es denn solche Themen bei eu
- Seite 81 und 82:
81Doch dieses Klassenzimmer, das wa
- Seite 83 und 84:
83"Ja, Ella. Und vielleicht Sarah u
- Seite 85 und 86:
85"Das ist egal!""Meinst du denn, d
- Seite 87 und 88:
87"Du denn?"Sie lächelte. "Als bra
- Seite 89 und 90:
89gesund sein. Die meisten Mädchen
- Seite 91 und 92:
91werdenden Oberpriesterin, dann sa
- Seite 93 und 94:
93Veränderungen eintreten zu könn
- Seite 95 und 96:
95Erwins Mutter, sie hatte noch dre
- Seite 97 und 98: 97Gemeinschaft auszuarbeiten. Ausse
- Seite 99 und 100: 99weiss, ob es sie da draussen wirk
- Seite 101 und 102: 101und erst kürzlich verheilt schi
- Seite 103 und 104: 103Tritte und Stimmen."Bleiben sie
- Seite 105 und 106: 105denn die Geschichte nicht gezeig
- Seite 107 und 108: 107Ich erinnere mich, wie der Schni
- Seite 109 und 110: 109bremsen und ergänzte die Aufzä
- Seite 111 und 112: 111"Geh' mal." sagte sie, Nebel und
- Seite 113 und 114: 113leichtesten Flügelschlag eines
- Seite 115 und 116: 115hinter sich und sind schon am En
- Seite 117 und 118: 117Ich nickte erstaunt und sah plö
- Seite 119 und 120: 119wir in den Wald? Ausser -" Sie l
- Seite 121 und 122: 121Leben aus, ihren Ausbildungen, n
- Seite 123 und 124: 123"Wann hast du das letzte Mal ges
- Seite 125 und 126: 125Wir schüttelten alle drei die K
- Seite 127 und 128: 127verstehen. Irgendwie gibt es imm
- Seite 129 und 130: 129"Da das anscheinend an der Grenz
- Seite 131 und 132: 131Ich schüttelte den Kopf. Shulam
- Seite 133 und 134: 133Arme reckten, Segelschiffe in st
- Seite 135 und 136: 135Die Sologeigerin spielte auch na
- Seite 137 und 138: 137Ich ahne, dass Du danach endgül
- Seite 139 und 140: 139Tropfen in seinen alten Augen, u
- Seite 141 und 142: 141Dämmerung unter den Tannen schi
- Seite 143 und 144: 143Neugierde, das Lieblich Klingend
- Seite 145 und 146: 145vorhin der See."Von hier nehmt i
- Seite 147: 147Sie schaute mich. "Hast du dir d
- Seite 151 und 152: 151den Einbaum aus dem Wasser zogen
- Seite 153 und 154: 153Fünftes Buch:HerostodDer Südse
- Seite 155 und 156: 155Dagegen sprach aber sicherlich d
- Seite 157 und 158: 157Die beiden Husarenuniformjäckch
- Seite 159 und 160: 159heraus, wegen der Krankentranspo
- Seite 161 und 162: 161"Wir werden nicht gefragt. Es da
- Seite 163 und 164: 163Er hatte mich auf den Rücken ge
- Seite 165 und 166: 165Ich rüttelte den jungen Mann un
- Seite 167 und 168: 167bitte nicht mehr an."Kurz darauf