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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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7verhindert. Für die gebildeteren Schichten galt intergeschlechtliche Sexualität <strong>als</strong> unfein,denn frau ging ja auch nicht mit ihren Hunden ins Bett. Die obersten Schichtenarbeiteten an ihrer seelischen Vervollkommnung, um das Rad der Wiedergeburtenanstandslos zu durchlaufen. Ihre Lieben waren rein geistiger und spiritueller Natur, dieFortpflanzung geschah sowieso nur zu vorgeschriebenen, rituellen Zeiten in denabgezirkelten heiligen Heinen. Auf jeden Fall waren sie aus der kruden Beschäftigungmit direkten erotischen Kontakten zwischen sterblichen Normalfrauen ausgeschlossen.Oder, wie es die Magna Matres auszudrücken pflegten: Sie wurden verschont, um nichtvon ihrem Weg abgelenkt zu werden, reife und vollkommene Führerinnen derFrauengesellschaft zu werden.Wir weiter unten pflegten zu sagen, dass sie einen wackeren Preis zahlten... aberwofür? Und wir achteten darauf, unsere alltäglichen kleinen Frauenfreuden nicht zu lautund eher unter uns auszuleben, wie es ja auch gewünscht wurde.Unerfüllte Sehnsucht mag ein ebensolcher Faktor in der Leitung gesellschaftlicherOrganisationen sein, wie Hunger, Wohnraummangel oder Unterbezahlung. AllesZustände, deren Überwindung unsere wunderbare Frauenwelt in den Umsturzjahrenund während der ersten Generation ihres Bestehens versprochen und seit mindestenszwei Generationen sogar erreicht hatte und woraus diese Regierungsform ihre starkeLegitimation bezog.Gegenüber jenen Elevinnen aus den oberen <strong>St</strong>änden war ich ein Nichts, gebildete Mittelnaja eher Unterschicht, schlimmer: Eine Demonstrantin. Aelteste und somit erbrechtlichfast rechtlose Tochter einer Bauarbeiterin und Tempelputzfrau. Maya aber eine Elevindes achten Ranges. Wenn für sie überhaupt etwas Sinnlich-Erotisches in ihrer Laufbahnvorgesehen war, dann würde sie sich im Hain fortpflanzen, um die Tradition der TopSieben über ihren eigenen Körper nahtlos an die einzigste oder jüngste Tochterweiterzugeben. Frauenland brauchte Nachwuchs, und die Oberen waren angehalten,uns Niedrigen mit gutem Beispiel voranzugehen.Maya, ausersehen, in späteren Jahren eine der Magna Matres zu werden, war mir überden Weg gelaufen, <strong>als</strong> ich mit der Baukolonne meiner Mutter Renovierungsarbeiten imZentraltempel der <strong>St</strong>adt vornahm, wobei ich eifrigst meine Augen für unserenInformationssammeldienst wandern liess.Sie kam eine Treppe herunter, im spirituellen Weiss ihres <strong>St</strong>andes, die strohgelbenHaare hochgesteckt über dem schmalen Gesicht. Sie sah nicht sehr glücklich aus. Ichhockte am Fuss dieser Treppe, kratzte Farbflecken vom roten Marmor und befingerteinsgeheim die <strong>St</strong>ufen nach verborgenen Schalllöchern oder Süssrauchdüsen. Als dieweissen Hosenbeine vor mir auftauchten, schaute ich etwas erschrocken hoch, ihregrau-grün-braunen Augen lächelten mich freundlich, aber ein wenig müde an. Das wardie Müdigkeit einer neunzigjährigen Frau! Aber Maya war kaum ein paar Jahre älter wieich.Dam<strong>als</strong> ahnte ich in meiner Naivität nicht, dass ich mein Leben mit dieserLiebesgeschichte gefährden würde, mein Leben, das meiner konspirativen Freundinnen,Demonstrantinnen und sogar das von Maya, der Elevin des achten Ranges imHauptgebäude unserer <strong>St</strong>adt. Dam<strong>als</strong> wollte ich nur diese Müdigkeit wieder zum Lachenbringen und diese Weisheit, die einer kaum dreissigjährigen Frau genauso weniganstand wie mir die verarbeiteten Hände der Unterschicht ... nur zum Lächeln - -!

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