44"Möglicherweise ist er sogar abgestürzt, dank unserer kleinen Knallerei, ohne dass dieBesatzung noch ein Positionssignal oder gar einen Notruf absetzen konnte. Kaffee,Johanna?""Ja." Ich hockte mich auf die Koje und umklammerte den Becher, der Kaffee darinschwappte, ein schwarzes Auge in blauem Rand, meine klammen Hände saugten dieWärme aus dem Porzellan, meine Füsse in trockenen, kratzenden Socken krümmten sichzusammen."Wohin geht es dann weiter?""Sperrgebiet -"Mein Kopf zuckte hoch. "Wie meint ihr das?""Ein Teil der südlichen Ostsee, Greifswalder Bodden und weitere Zonen sindSicherheitsgebiet.""Wegen den alten Kernkraftwerken?""Hm -""Aber da strahlt es noch.""Es geht wohl so. Nordöstlich liegt Rügen, eine viele Quadratkilometer grosse Insel.""Kenne ich nicht.""Dort ist seit ca. dreissig Jahren eine der Dissidentenkolonien. Von solchen Leuten hastdu doch sicher schon gehört?""Natürlich. Wir Sperlinge und Ratten erfahren Einiges.""Okay. Die Insel selber soll wohl ziemlich clean sein! Jedenfalls bringen die Leute dortgesunde Kinder zur Welt.""Kinder -?""Nun ja, sie leben ein bisschen wie früher, zwangsläufig, was? Deshalb nennen wir sie'Wäldler'. Du wirst schon sehen!" Frank lächelte mich verschmitzt an. "Pit hatVerwandtschaft dort. Du wirst dich daran gewöhnen."Anneliese stand auf und kam zu mir herüber. "Sie nehmen dich auf, jedenfalls wurdeuns ihr Angebot übermittelt." Sie setzte sich neben mich, nahm mein Handgelenk, fühlteden Puls und legte mir die Hand auf die <strong>St</strong>irn."Ihr schmuggelt wohl öfters Leute hinüber.""Ja. Leg' dich wieder hin, du brauchst Wärme und Schlaf."Das Geräusch der Motoren änderte sich, und von oben rief Pit irgendetwas herunter."Das ist der Kanal. Es ist besser, du bleibst unten, bis wir durch sind. Aber wir fahrensowieso bei Nacht."Frank war schon die Treppe hinauf und steckte den Kopf durch die Türe. "Komm,Anneli, es ist gleich dunkel."Ich spürte, wie der Kutter beidrehte, irgendeine helle <strong>St</strong>imme, wahrscheinlich Anneliese,rief "Licht aus!", dann wurde auch der Motor abgestellt. Ich rollte mich unter der Deckezusammen und versuchte in der plötzlichen <strong>St</strong>ille zu schlafen. Wie aus weiter Fernehörte ich später wieder das Anspringen der Motoren, die offensichtlich mit halber Kraftweiterfuhren, um sich bei Nacht leise quer durch eine Männerprovinz nach Osten zuschleichen.Auf dem Gummen im Jahr 135 ( 2135 n. d. Zt. )
45Ich hatte das Meer geliebt, das Meer war dam<strong>als</strong> für kurze Momente meine Rettunggewesen, mein Schutz in Form dieser kleinen, knarrenden Nussschale mit ihrenfreundlichen, nordländischen Riesen darauf.Hier in den Bergen stösst der Blick schnell an Felsecken, hochgezogene Alpinseln, leiseWälder, bizzare Kieferngehölze. Ich steige oft hoch: Vielleicht zu den zerfallenen Ruinendes Gasthofes oben auf dem Gummenjoch. Der Blick dort mag weit laufen, hin bis zumSee, an dessen Ufern einst die älteste Demokratie Europas von einer handvoll markigerDissidenten mit scharfem Blick und guten Armbrüsten ausgerufen wurde. Doch ob klaroder dunstig, irgendwo stossen die Augen immer wieder an, reiben sich wund wieKindernasen an Schaufensterläden, reiben sich, verwundet wie die Erinnerung, derenBlick doppelt verstellt ist: Durch Verlorenes und Gewusstes zugleich.Mayas Augen, die auf immer wohl in mir irgendwo da in der Gegend ruhen bleiben, ausder das Weinen in den H<strong>als</strong> steigt.Später, aber irgendwie erstaunlich nahe, dieser Punkt wie ein Blitz, die Erinnerung, dieim gleichen Augenblick plötzlich durch meinen Kopf flog, <strong>als</strong> ich die unbekannteUniformträgerin, die mir ihre helfende Hand hinstreckte aus dem Hubschrauberschleuderte: Der sich aufbäumende, helle Körper vorne auf der Empore, das seltsameGeräusch, welches aus der schwarzen Frauenmenge aufstieg und die weiss gewandeteGestalt, die etwas rotes Zuckendes triumphierend vor die rufenden Frauen hinhielt: DasHerz des Patriarchats, alljährlich neu herausgerissen, um endlich Frieden, Freiheit undSicherheit für jenes Geschlecht zu sichern, das Jahrtausende lang durch männlicheHerrschaft gefoltert, getötet, vernichtet und aller Rechte beraubt worden war.Wie alt müssen wir werden, um alles, aber auch alles aus den Kellern der Erinnerung indie hellen Dachstübchen des Verstandes zu tragen? Wie alt, um die kruden,schmerzenden Hemmnisse dieser Aufräumarbeiten aus dem Weg zu schleppen, undhinaus aus allen Fenstern des Bewusstseins zu werfen? Allemal durch blosshalbgeöffnete Fensterläden, die auf ewig im Wind klappern, klappern und uns soerinnern an das Hinauswerfen selber, den Prozess der Reinigung, der ebenso grausig istwie jener der Erinnerung!Vielleicht können wir deshalb nicht mehr vergessen, weil die alten und die neuen Dingeimmer so nahe beieinander, so ineinander verschlungen sind wie die betenden Händeeiner Person.Es bedeutete Täterin zu werden, um sich erinnern zu können.Als die mutige Baumkletterin mir über die Mauern der Villa Garbo hinweg die Klingezuspielte fing ich nicht nur meine Freiheit auf sondern den Beginn meiner Erinnerungenund das Gewand der Tat.Vor meiner Verhaftung wollte ich nur die Hände der zukünftigen Priesterin retten.Hände, die ich bis zu meiner Flucht nie hatte das Instrument der Seligen spielen sehen,die grosse Harfe, die alle zukünftigen Magna Matres spielen konnten. Ihnen allein wardiese Kunst vorbehalten: Die Harfe, die Opfermesse und die reale Begegnung mit denHerosaspiranten in den heiligen Hainen. Ihre Hände sollten sauber bleiben während anmeinen bereits seit langem der <strong>Dr</strong>eck und die Lauge aus unzähligen Putz-Lausch-Aktionen in den Tempeln klebte, wie ich vermeinte. Nun klebte noch viel mehr <strong>Dr</strong>eck anihnen: Das Blut der schmierigen Husarenuniform und einer unbekannten
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