22Unter einem Küchenfenster führte eine Treppe von aussen zur Kellertüre hinab. Aber <strong>als</strong>ich die verrostete Klinke herabdrückte und mühselig die klemmende, verquollene Türeeinen Spalt aufgeschoben hatte, schlug mir so ein widerlicher Moder- undVerwesungsgeruch entgegen, dass ich sie schleunigst wieder zuschob und ihreErforschung auf spätere Tage und mögliche Lichtquellen verschob. Wahrscheinlich hatteirgendeine der hier internierten Seelen Rattengift verstreut und die qualvoll zugrundegegangenen Tiere stanken nun in aller Ruhe und Feuchtigkeit jahrelang vor sich hin,immer wieder vermehrt durch nachfolgende Tiere, die von ihrem vergifteten Fleischfrassen und ebenfalls eingingen, bis die Wirkung des Ganzen endgültig verflogen wäre.Ich hatte die Abneigung gegen Ratten, ein Erbe der patriarchalen Epoche mit ihrenMüllbergen und ungelösten Abwasserproblemen, nie ganz verstanden. Gänse, Ziegen,Schlangen, Spinnen und so weiter waren <strong>als</strong> ehemalig den Göttinnen heilige Tierewieder aufgewertet und zu Komplimenten verwandelt worden. Aber Ratten undSperlinge hatte man ausgelassen, obwohl doch beide, gerade in den Grossstädten,unverzichtbare Abfallbeseitigerinnen gewesen waren.Die Informationssammelabteilung unserer konspirativen Demonstrantinnengruppenannte sich 'Die weissen Ratten', denn Ratten besitzen nicht nur ein hohesIntelligenzniveau, sie haben auch, zumindest untereinander, wenn niemand sie in engeKäfige sperrt und Pawlow'sche Überbevölkerungsversuche mit ihnen anstellt, einfreundliches Sozialverhalten, das den Bedürfnissen des einzelnen Tieres ebensovielSpielraum einräumt wie den Belangen der Population. Und dass einzig die vollkommenin den illegalen Untergrund abgetauchten 'Sperlinge' mit ihrem fassadenkletterischenGeschick und ihrer diebischen Unverfrorenheit mir hier wieder heraushelfen konnten,war mir schon in jenem Moment bewusst geworden, <strong>als</strong> ich, in der Mitte des äusseren<strong>St</strong>reifens gehend, von weitem des Schreck erregende Geheul der wildenDoberhündinnen gehört hatte.Ich trat wieder zurück in die Eingangshalle und lief die Treppe in die oberen <strong>St</strong>ockwerkehinauf. Auch hier war alles makellos sauber und gepflegt gehalten worden. Vermutlichsteckte hinter dieser Ordnung auch der Sinn, irgendwie konspirative Botschaften, anwen auch immer und geheime Waffenverstecke zu verhindern.An der Längsfront des Hauses, die zum Küchengarten hinausging, war ein langes, hellesZimmer, aus dessen Fenstern ich weit in den Park und zur inneren Umgebungsmauerhinüber sehen konnte. Man hatte mir eine grosse Schreibtischplatte hingestellt, sowiemehrere Bücherregale voller Bücher: Gedichte, geschichtliche Werke zurMatriarchatsforschung, die mein Hobby war, Krimis und Fantasyromane. Ich sah, dassman sich gut mit meinen literarischen Vorlieben auskannte und alles daransetzte, meineFantasie, zumindest vorerst, nicht austrocknen zu lassen. In einem Regal lehnten auchmeine bisherigen Veröffentlichungen, und darunter lagen tausend BlattSchreibmaschinenpapier, bestimmt für den Walzenwagen meiner eigenen, einfachenMaschine, die sie wohl irgendwie hierher transportiert haben mussten.Natürlich bekommen Dissidentinnen keine Computer zur Verfügung gestellt!Das einst weltweite Informationsnetz des etwas spleenigen Computerfreaks, der damitMilliarden verdiente war nach den verschiedenen, weltweiten Männerkriegen zusammengebrochen und die stärker regional organisierten Frauenländer hatten es in seinereinstigen Grösse nicht mehr aufbauen wollen oder gar können. Man hielt allgemein gar
23nicht so viel vom freien Fluss der Informationen, die ja auch in die f<strong>als</strong>chen Hände,sprich männliche, geraten und somit missbraucht werden konnten.Zugang zur Computertechnik wurde nur den Oberen gestattet und ausEnergieersparungsgründen griff man weitestgehend wieder auf eher mechanischeSchreibapparate zurück.Es zog allerdings durch die Fensterritzen, und da der Raum sehr schön luftig und grosswar, wusste ich einen besseren Verwendungszweck für ihn <strong>als</strong> die kalteLiteratinnenstube im ersten <strong>St</strong>ock.Ich mag es, beim Schreiben Kartoffelchips zu knabbern oder literweise Kaffee-Verkehrtzu trinken. Deshalb beschloss ich, das Schreibzimmer ins Erdgeschoss, in den grossenSalon zu verlegen, da war es zur Küche nicht so weit. Ich streiche mir gerne grosseButterbrote, trage sie an den Schreibtisch und trinke, wenn es geht, in denAbendstunden Bier mit und ohne Alkohol dazu. Das Schreiben wird so zu einem direktenund sehr profanen Verdauungsvorgang: Was ich hineinfresse, spucke ich aus.Ohne meine subversiven Kletter- und Demonstrantinnenaktivitäten, für die mir diePutzkolonne, die meine Mutter führte <strong>als</strong> Basis diente, und die ich <strong>als</strong> Aelteste, nebenmeiner literarischen Tätigkeit einmal übernehmen musste, wäre ich vermutlich einaufgeschwemmter, weiblicher Buddha mit Fettklösschen unter den Schweineäugleingeworden, ähnlich jener spätpatriarchalen U.S.A.-Autorin, deren Bücher ich,glücklicherweise, ebenfalls in den Regalen vorfand. War sie doch, neben einigen nichtmehr genannten, männlichen Autoren und Lyrikern der <strong>St</strong>ilepochen davor, eine meinergrossen Schreibevorbilder gewesen. Deshalb achte ich darauf, dass Küche undArbeitszimmer möglichst nahe beieinander liegen. Ja, ich lebte zeitweilig in einerWohnung, in der ich Küche und Schreibstube im gleichen, grossen Raum untergebrachthatte, während das kleinere Schlafzimmer durch das danebenliegende, beinahe ebensogrosse Bad eine gewisse Lebensqualität erhielt.Das Badezimmer der Villa Garbo machte dem Namen der grossen, spätpatriarchalen undselbstverständlich in unserer Kulturgeschichtsschreibung lesbischen Schauspielerin alleEhre: Es reichte wohl in den Flachdachanbau hinein, der vermutlich wegen dieserBadezimmererweiterung überhaupt dam<strong>als</strong> angebaut worden war und lag schräggegenüber, neben der Treppe. Grob geschätzt, umfasste es mindestens zwanzigQuadratmeter. Neben einer grossen, doppelten Liegewanne war ein Badebecken in denBoden eingelassen, in dem ein dreijähriges Kind gut Schwimmunterricht hätte nehmenkönnen. Es gab Duschen mit allen möglichen Massagevariationen, ein von untenheizbares Klo mit Bücherablage daneben, einen grossen Kleiderschrank für Badetücherund Klamotten.Da ich ja keinerlei gesellschaftlichen Verpflichtungen mehr unterlag, bestand meinegesamte Garderobe aus mehreren Trainingsanzügen, natürlich Baumwolle und schönbunt, denn die Frauenwelt lehnt synthetische Kleidung rigoros ab. Es gab <strong>St</strong>apel von T-Shirts mit und ohne lange Ärmel, Unterhosen in keuschen Grössen, Tennissocken,Wollsocken, und am Boden des Schrankes fand ich von Turnschuhen bis Gummistiefelmehrere Variationen von Schuhwerk für alle Lebenslagen, inklusive warmer Filzlatschenfür das Haus.Schon immer wussten die Leute, dass Frauen sich mit den sozialen Seiten deszwischenmenschlichen Lebens besser auskennen und von daher auch längst begriffen
- Seite 1: 1Martina SchäferH E R O S T O DWid
- Seite 4 und 5: 4Register der wichtigsten Personen
- Seite 6 und 7: 6Groschenromane! Diese Groschenroma
- Seite 8 und 9: 8Es war auch sonst nicht mehr, was
- Seite 10 und 11: 10ist es. Ich belüge Sie schon nic
- Seite 12 und 13: 12postpatriarchal gekennzeichnet. I
- Seite 14 und 15: 14kleinen Mädchen oder Säuglinge
- Seite 16 und 17: 16Atem rauben konnten. Das gleiche
- Seite 18 und 19: 18sodass die Hunde genügend Zeit h
- Seite 20 und 21: 20von Jugend auf!Der Park der Villa
- Seite 24 und 25: 24hatten, dass nicht die Armut nack
- Seite 26 und 27: 26"Es gibt andere Werte!" Sie griff
- Seite 28 und 29: 28Brüste. Ich verfluchte den Mange
- Seite 30 und 31: 30verboten und wurden, soweit das m
- Seite 32: 32Blutung das erste Mal in Anspruch
- Seite 35 und 36: 35Seite der Mauer angekommen war.Dr
- Seite 37 und 38: 37Seine Frau tanzte aussen herum mi
- Seite 39 und 40: 39Husarenuniformjäckchen und schlu
- Seite 41 und 42: 41Herz aus einem zuckenden Körper
- Seite 43 und 44: 43Zartheit und Leichtigkeit einst a
- Seite 45 und 46: 45Ich hatte das Meer geliebt, das M
- Seite 47 und 48: 47"Mit Anzug und Bleischürze, wie
- Seite 49 und 50: 49ihn als Puppenbettchen gebraucht.
- Seite 51 und 52: 51Männer selber!""Das war an Bord
- Seite 53 und 54: 53räusperte sich indigniert."So et
- Seite 55 und 56: 55und stossend daran, ihre Beine au
- Seite 57 und 58: 57versammeln sich hier viel zu viel
- Seite 59 und 60: 59gesamte Erdgeschoss einnahm, sah
- Seite 61 und 62: 61heisse Blutwurst! Bis dann." Er s
- Seite 63 und 64: 63erhalten, was ihnen die Männer n
- Seite 65 und 66: 65Welches Leben ihnen diese Kraft,
- Seite 67 und 68: 67Laura starrte mich störrisch an.
- Seite 69 und 70: 69länger als das Bett, reichte der
- Seite 71 und 72: 71Schule abhalten, Versammlungen -"
- Seite 73 und 74:
73"Ja. Du bist ein gutes, einsichti
- Seite 75 und 76:
75hier praktizierten Christentum zu
- Seite 77 und 78:
77brühte das wertvolle Pulver auf
- Seite 79 und 80:
79"Gab es denn solche Themen bei eu
- Seite 81 und 82:
81Doch dieses Klassenzimmer, das wa
- Seite 83 und 84:
83"Ja, Ella. Und vielleicht Sarah u
- Seite 85 und 86:
85"Das ist egal!""Meinst du denn, d
- Seite 87 und 88:
87"Du denn?"Sie lächelte. "Als bra
- Seite 89 und 90:
89gesund sein. Die meisten Mädchen
- Seite 91 und 92:
91werdenden Oberpriesterin, dann sa
- Seite 93 und 94:
93Veränderungen eintreten zu könn
- Seite 95 und 96:
95Erwins Mutter, sie hatte noch dre
- Seite 97 und 98:
97Gemeinschaft auszuarbeiten. Ausse
- Seite 99 und 100:
99weiss, ob es sie da draussen wirk
- Seite 101 und 102:
101und erst kürzlich verheilt schi
- Seite 103 und 104:
103Tritte und Stimmen."Bleiben sie
- Seite 105 und 106:
105denn die Geschichte nicht gezeig
- Seite 107 und 108:
107Ich erinnere mich, wie der Schni
- Seite 109 und 110:
109bremsen und ergänzte die Aufzä
- Seite 111 und 112:
111"Geh' mal." sagte sie, Nebel und
- Seite 113 und 114:
113leichtesten Flügelschlag eines
- Seite 115 und 116:
115hinter sich und sind schon am En
- Seite 117 und 118:
117Ich nickte erstaunt und sah plö
- Seite 119 und 120:
119wir in den Wald? Ausser -" Sie l
- Seite 121 und 122:
121Leben aus, ihren Ausbildungen, n
- Seite 123 und 124:
123"Wann hast du das letzte Mal ges
- Seite 125 und 126:
125Wir schüttelten alle drei die K
- Seite 127 und 128:
127verstehen. Irgendwie gibt es imm
- Seite 129 und 130:
129"Da das anscheinend an der Grenz
- Seite 131 und 132:
131Ich schüttelte den Kopf. Shulam
- Seite 133 und 134:
133Arme reckten, Segelschiffe in st
- Seite 135 und 136:
135Die Sologeigerin spielte auch na
- Seite 137 und 138:
137Ich ahne, dass Du danach endgül
- Seite 139 und 140:
139Tropfen in seinen alten Augen, u
- Seite 141 und 142:
141Dämmerung unter den Tannen schi
- Seite 143 und 144:
143Neugierde, das Lieblich Klingend
- Seite 145 und 146:
145vorhin der See."Von hier nehmt i
- Seite 147 und 148:
147Sie schaute mich. "Hast du dir d
- Seite 149 und 150:
149Fussende von Mayas Bett, tatsäc
- Seite 151 und 152:
151den Einbaum aus dem Wasser zogen
- Seite 153 und 154:
153Fünftes Buch:HerostodDer Südse
- Seite 155 und 156:
155Dagegen sprach aber sicherlich d
- Seite 157 und 158:
157Die beiden Husarenuniformjäckch
- Seite 159 und 160:
159heraus, wegen der Krankentranspo
- Seite 161 und 162:
161"Wir werden nicht gefragt. Es da
- Seite 163 und 164:
163Er hatte mich auf den Rücken ge
- Seite 165 und 166:
165Ich rüttelte den jungen Mann un
- Seite 167 und 168:
167bitte nicht mehr an."Kurz darauf