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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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32Blutung das erste Mal in Anspruch zu nehmen: Die Teilnahme an den schwarzen Ritender Erwachsenen, den jährlichen Herosopfern, um die neugeborene Sonne zu nährenund mit ihr die neue Frauenzeit.Ich erinnerte mich an viele Dinge aus meiner Jugend, aber dieses erste Herosopfer warlange Zeit fortgeblendet, genau wie meine Gefühle, denn ich wusste nicht einmal mehr,ob ich Abscheu oder Triumph empfand über diese schrankenlose Demonstrationweiblicher Macht, ob ich es gut fand, da es den Frieden sicherte und die Friedfertigkeitder Männer garantierte, oder ablehnte, wie eine junge Person ja vieles ablehnt,zwischen vierzehn und einundzwanzig, heute die Männeropfer und früher denMilitärdienst.Eine Bergdohle zieht vor der Wiese vorbei, auf der ich oberhalb unseres künstlichenkleinen Dissidentinnendorfes sitze. So ziehen leichte und schwere Erinnerungen dahin,Dscheltisna ja Maya, Ella, die fromme Gemeinschaft auf Udars, die Schmuggelkutter,Hannah und Jan-San, ihr Baby, das wir aus dem Schloss der Elevinnen retteten, dasPfahlbaudorf am Südsee von Unteruhldingen, Schulamits braune Augen, die bis heuteauf mir ruhen und sich "kaputtlachen können", wie sie sich ausdrückt, über dieseltsamen Verirrungen unseres Lebensweges.Vieles ist nun da und erscheint sachte und sanft wie auf sirrenden Vogelschwingen,dann wenn die Erinnerung wieder tragbar ist, wenn sie, scheuer Vogel eben, sicher ist,nicht von meinem Schrecken erklärt oder von meinen Ängsten erschlagen zu werden.Erinnerungen an das Jahr 75 ( 2075 n. d. Zt. )"Sie tun es freiwillig" sagte meine Mutter und stiess mich durch den Vorgarten zum Törchen aufdie Sippenstrasse - "es ist eine Ehre - halt' dich gerade, Johanna, ausserdem lernt ihr das ja allesheutzutage besser <strong>als</strong> wir das jem<strong>als</strong> erleiden konnten!" Sie rümpfte die Nase, schlug dasGartentörchen hinter uns zu und drohte den Zwillingen hinter dem Fenster mit dem erhobenenZeigefinger."Benehmt euch anständig - Heilige Brut, danke ich der Göttin, keinen Sohn in die Welt gesetztzu haben."Wir lernten in der Schule, dass schon die vorpatriarchalen Kulturen, die <strong>St</strong>adt- undHochmatriarchate der ersten Ackerbäuerinnenkulturen jährlich und im Kontext ihrerJahreszeitenzyklen Männer opferten: Als Symbol der sterblichen Menschheit, in <strong>St</strong>ellvertretungder abnehmenden Sonne, <strong>als</strong> Boten der Göttin in die Anderswelt. Vorher lebten sie vielleicht einJahr oder sieben <strong>als</strong> so genannte "Heros-" oder "Priesterkönige" zugeordnet ihrer Göttin-Gattin,der Königin oder Oberpriesterin eines Landes, mit der sie im Sommer die "Heilige Hochzeit"vollzogen, die stellvertretend die Fruchtbarkeit des Landes und den Wohlstand des Volkesgarantierte.Auch sie liebten und starben freiwillig, so sagten die Geschichtslehrerinnen. Es war einebesondere spirituelle Ehre und sicherte den Heroen irgendeine Art Unsterblichkeit, eineTeilnahme am weiblichen Zyklus permanenter Wiederkehr."Der Witz ist bloss -" flüsterte eine Mitschülerin hinter mir leise vor sich hin, aber so, dass es allein der Nähe sitzenden Mädchen hören konnten - "dass meine Grosstante ein altes, maschinengeschriebenes Manuskript besitzt, in dem Bücher erwähnt werden, in denen patriarchaleHistoriker daran zweifeln: Entweder nämlich ist eine Gesellschaft egalitär, oder sie bringt ihreeigenen Leute um, wie zum Beispiel die Christen! Meine Grosstante sagt, Kannibalismus und

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