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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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132Mechanismus gelöst: Als ich das erste Mal dort im Ruhrloch in dem renovierten Saaleines kleinen, Berghischen Barockschlösschens die breiten Akkorde vernahm, die sichum Namen rankten, wie Sascha und Jakob sie so locker vor uns hingeperlt hatten, wares, <strong>als</strong> risse mir ein <strong>St</strong>urm die Hirnschale unter den Haaren davon, <strong>als</strong> griffe eine Faustmir selber in das Gedächtnis und wühle um und um, was tiefer eingegraben war, <strong>als</strong>jegliches <strong>St</strong>ammhirn selbst.Man sagt, dass sich unser Nervensystem auch kleinere Unterzentren im Körpergeschaffen habe, Ganglienknoten, Relaisstationen des vegetativen Funktionierens.Vielleicht unterhalb des Nackens, damit die verspannten Schultern ein Gefühl für fataleMachtausübung erhalten, vielleicht den Solarplexus, damit seine Angst uns lehrt, dieGewalt im Wohnzimmer zu erkennen.Ich stelle mir vor, dass dort, wo wir Menschen ruhig sitzen, einst <strong>als</strong> Dinosauriervielleicht einen praktischen <strong>St</strong>ützschwanz hatten, der uns aufrecht und misstrauischhocken liess, dort, wo frau sich das <strong>St</strong>eissbein beim Schlittenfahren brechen kann undwir heute die Freiheit einer tanzenden Hüfte geniessen, dort liegt jenes Ganglion, dassuns Musik hören und fühlen lässt, geträumte Bewegungen, atemloses Springen undweinende Erinnerungen.Die Frauenwelt verbot grundsätzlich alle Musik, die jem<strong>als</strong> vor der neuen Zeitrechnungkomponiert und gespielt worden war. Auch die Musik der dam<strong>als</strong> lebendenKomponistinnen, Sängerinnen oder Bands, denn die Magna Matres meinten in ihrerunendlichen Weisheit, dass auch deren <strong>St</strong>ücke zuviel der alten Elemente enthielten, umnoch aufgeführt zu werden. In gewisser Weise hatten sie sogar Recht damit.Nimm die alte Musik und du nimmst die Sehnsucht. Nimm die alte Musik und duverbietest jenen klugen Code, der alle Herrschaften unterläuft, verbiete die H-Moll-Messe von Bach und Du verbietest das Wissen, dass Religion und Ehrfurcht einAufschrei sind angesichts brennender Scheiterhaufen, dass selbst ein Mann um Friedenflehen kann, wenn die Schreie der Gemarterten bis zu den Orgelbänken empor dröhnen.Verbiete Mendelsons Oratorien oder seine Seligpreisungen und du verbietest die letzteAhnung eines Andersseins, verbiete <strong>St</strong>reichquartette und kein Mensch wird sich mehr insubversiven Kleingruppen zusammenfinden.Eine Frage ist immer, wie entsteht Macht? Doch die weit wichtigere ist: Wie kann mansie erhalten? Das Töten der Musik ist die wichtigste Voraussetzung dafür.Ungefähr dreissig Musiker sassen auf einer Bühne.Doch nicht diese Männer waren es, welche zuerst meine Blicke an sich zogen.Eine grössere Gruppe aus Anwohnern des Ruhrlochs, Männer und Frauen, denenbeispielsweise auch unsere Fahrerin, welche so geschickt alte Möbel restaurierteangehörte hatte dieses Schlösschen über Jahre hin wieder aufgebaut und restauriert.Schon im Hineingehen musste ich über die steinigen Verschnörkelungen, diegewundenen Blumenkohlblätter und Weinranken lachen. Aber auch dicke Engelchenwaren mir schon im Verlaufe meines Lebens begegnet oder die hohen Ruinen gotischerKirche, der kleine, mit <strong>St</strong>uck überladenen Klassensaal in Udars. Doch diese goldenenPracht, die sich nun vor mir auftat war neu: Riesige bunte Deckengemälde mithalbnackten, kräftig gebauten Menschen darauf, die in bedeutungsvollen Posen die

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