48"Ich heisse Ella!" rief sie über die Schulter zurück. "So eine Berühmtheit war noch niebei uns!"Ich schnaubte wütend. Konnte die sich nicht ausrechnen, wie hoch der Preis für dieseBerühmtheit war, und dass ich mir den Hintern mit diesem Ruhm abwischen konnte?"Die Jungs haben sicher trockene Klamotten für dich." Babbelte sie weiter, während sievor mir her die schmale Waldschneise entlang lief. "Jedenfalls ein paar sind nicht zulang, aber hier stört es auch niemanden, wenn du die Hosenbeine hochkrempelnsolltest. Ach nein, du bist ja eh eine Frau." Sie nieste und hielt an, um eine stacheligeWaldranke vor meinem Gesicht zurückzuhalten. Ernsthaft schaute sie mich an."Es gibt doch sicherlich noch mehr Frauen bei euch." Der Gedanke, die nächste Phasemeines Lebens auf unabsehbare Zeit in Gesellschaft einiger männlicher Dissidenten undeiniger Konses verbringen zu müssen, jagte mir kühle Schauder den Rücken herauf undherunter."Oh ja, noch ein paar, hm, Konses!" Sie lächelte kurz über diese sie selbstdiskriminierende Bezeichnung. "Aber wir sind wohl nicht so dein Fall, was?" Wie dieWellen auf einem Wind bewegten See huschte ein neuer Ausdruck über ihr Gesicht, undfür Momente presste sie die Mundwinkel in einer Weise zusammen, dass ich meinte,Maya blickte aus ihrem Gesicht heraus, und ich wich unwillkürlich vor ihr zurück.Ella musterte mich einige Sekunden, dann wischte ein Lächeln diesen fernen, strengenAusdruck wieder herunter. Sie zuckte die Achseln. "Wahrscheinlich musst du mit unsvorlieb nehmen." Sie schniefte und mir fiel ein, dass eine sehr zauberhafteGouvernantenfigur aus spätpatriarchalen Kinderbüchern ebenfalls chronisch erkältet warund dennoch sämtliche Wunderwelten, von denen Kinder nur träumen können, an jederEcke des russigen Londons hervorgezaubert hatte. Allerdings pflegte Mary Poppinsweniger über aufgerollte Hosenbeine und mögliche Mittags-Waldmenüs zu spekulieren,und auch sonst konnte ich mich nicht daran erinnern, dass sie am laufenden BandNichtigkeiten von sich geplappert hätte.Abrupt blieb Ella wieder stehen:"Gleich sind wir da. Wenn ich dir zu viel rede: Wir haben selten Gäste, noch dazuSchriftsteller. Doch jetzt darfst du hier alleine auf mich warten. Ich habe natürlich dieKapuze vergessen, mit der wir dir die Augen zu tüten auf der letzten Wegstrecke."Von Kapuzen hatte ich ein für alle mal die Nase voll."Geht's nicht auch mit einem Tuch?"Sie lachte und schaute mich abschätzend an. "Das einzige Tuch, was wir im Momentbesitzen, ist mein Taschentuch, und darauf legst du sicherlich wenig Wert. Vielleichtsollte ich mir einen <strong>St</strong>reifen von meinem Kleid abreissen?"Ich setze mich auf die feuchte Erde neben den Pfad, und sie verschwand, <strong>als</strong> hätte dasSonnenspiel zwischen den Blättern und Ästen sie aufgezogen."Konse" brummte ich wütend und wusste nicht, worüber ich mich mehr ärgern sollte:Über die Ambivalenz in ihrem Gesicht oder jene in meinem Gefühl.Nach einiger Zeit tauchte sie aus dem Laub- und Schattenspiel wieder auf, einbräunliches, etwas undefinierbares <strong>St</strong>offstück in der rechten Hand schlenkernd."So - hier. Setz' das auf!"Ich starrte den muffeligen Fetzen an. "Er riecht!""Für eine flüchtige <strong>St</strong>aatsverbrecherin bist du ganz schön aufmüpfig! Meine Tochter hat
49ihn <strong>als</strong> Puppenbettchen gebraucht. Deshalb habe ich die Kapuze auch vergessen. Nunmach' schon, oder willst du unbedingt noch Schnupfen kriegen in deinen nassenHosen?" Sie warf mir einen Mary-Poppins-Blick zu, und ich stülpte mir brav den Zipfelüber den Kopf, der vermutlich einmal die Ecke eines Kissenbezuges gewesen war."Gib' mir deine Hand, sonst stolperst du noch ins Unterholz."Ellas lange Finger griffen nach mir, und mir schossen Worte wie 'kühl', 'trocken', 'sauber'durch den Kopf. Eine kühle, klare Hand mit glatter Haut schloss sich um meine Salzverklebten, schweissnassen, kurzen, klobigen Finger. Jeden Augenblick glaubte ich, dieFrage zu hören: "Sag' mal, wann hast du dir das letzte Mal die Hände gewaschen?",doch Ella zog mich, ausnahmsweise schweigend, durch das Gebüsch. Manches Mal bliebsie stehen, lachte kurz auf und legte mir die Hände auf die Schultern, wobei sie michmehrm<strong>als</strong> herumdrehte. Manches Mal spürte ich, wie sie vor mir eine Ranke beiseiteschob, einen Ast anhob; hin und wieder bedeutete sie mir, die Füsse über irgendeinHindernis zu heben."So - da wären wir." Sie liess meine Hand los. "Du kannst die Tüte abziehen."Ich zog die Kapuze herunter und liess sie in Ellas Hand fallen.Bäume, Büsche und dichtes Unterholz hatten die Ruinen und Gebäude des ehemaligenkleinen Dörfchens beinahe vollkommen überwuchert. Links ahnte ich mehr <strong>als</strong> ich es sahden zusammengestürzten <strong>St</strong>einhaufen eines ehemaligen Herrenhauses, dessen vordereFassade vielleicht bis in Höhe des ersten <strong>St</strong>ockwerkes stehen geblieben war. An dieFassade lehnten sich zwei Hütten, zum Teil aus Bruchsteinen und Trümmerrestenerrichtet, zum Teil aus Holz. Die Hütten waren vielleicht etwas über frauhoch, und ihreschräg nach vorne geneigten Dächer mit dichtem, grünem Laub abgedeckt. Vor mir sahich weitere kleine, einstöckige Häuser, vielleicht die Behausungen ehemaligerLandarbeiter, die anstelle der Giebel ebenfalls flache, leicht geneigte, mit Laub getarnteDächer aufwiesen. Hinter einer dichten Weissdornhecke erkannte ich den ehemaligenDorfteich, halb mit Schilf zugewachsen und mit einem dichten Zaun kleiner <strong>St</strong>ämmeumgeben, die fest in den Uferrand gerammt waren, wohl um Tiere an derVerschmutzung des Wassers zu hindern. An einer <strong>St</strong>elle führte ein <strong>St</strong>eg auf dieWasseroberfläche, und schräg gegenüber senkte sich ein ordentlich gekiester Uferrandins Wasser. Im Hintergrund ahnte ich die gut getarnten Überreste dreier Langhöfe, wiesie in Norddeutschland gegen Ende der patriarchalen Epoche üblich waren, die in einemweiten Winkel um die Dorfmitte mit dem Teich standen."Udars!" schniefte Ella und schaute mich erwartungsvoll an.Natürlich kannte ich landwirtschaftliche Anwesen aus meiner Frauenwelt, in der dasKonzept des integrativen Miteinanders von <strong>St</strong>adt und Land weit gehend verwirklichtworden war. Meistens an den Rändern unserer <strong>St</strong>ädte gelegen, gingen die Siedlungennahtlos über in Bestallungen oder andere Landwirtschaftsgebäude. Es gab aber auchgrosse Parkanlagen innerhalb der Siedlungen, die zum Teil <strong>als</strong> Weiden und Äckergebraucht wurden, oder stufenförmige Wohntürme, die weit draussen auf dem flachenLand all jenen ein Leben direkt in der Natur gönnten, denen selbst ein viertelstündigerSpaziergang durch die Sippenstrassen schon eine unzumutbare Distanz zu der Naturdarstellten. In der Basis solcher Türme befanden sich ebenfalls <strong>St</strong>älle, Getreidespeicherund Maschinenhallen. So war tatsächlich überall das Prinzip verwirklicht worden, dass inder Frühzeit von der so Tier liebenden Hundezüchterin Jeramaja Mardott ab Sarga
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