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vollständig als pdf - Dr. Martina Schäfer, St. Gallen

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54"Was wollt ihr damit erreichen?"Heinrich beugte sich zu mir herüber, schaute mich fest an und sagte leise, ohne eineMiene zu verziehen: "Sie wollen Gottes Wort verbreiten, verstehst du?""Wessen Wort?" Ich schaute sie verständnislos an."In der Bibel steht: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie!" Der alteMann klopfte bei jedem Wort dazu rhythmisch auf den Tisch. Ich musste unwillkürlichlachen und fühlte mich wie in einem Museum."Na, dafür geht ihr aber ein hohes Risiko ein!""Der Herr verlässt die Seinen nicht!" konterte der Bursche, der die Becher verteilt hatte."Gut, das ist wohl euer Glaube. Ich habe im Geschichtsunterricht davon gehört. Aber ihrkönnt doch nicht erwarten, dass eine wie ich auch daran glaubt! Also, wie stellt ihr euchmeine Schreibe vor?""Du schreibst, was du siehst und hörst; John oder ein anderer fügt dann die nötigenTeile christlicher Lehre, auch mal ein altes Kirchenlied oder so, ein.""Und was ist, wenn mir nicht gefällt, was ich sehe?"Die Männer stutzten, <strong>als</strong> hätten sie gar nicht damit gerechnet, dass mir irgendetwas beiihnen nicht gefallen könnte. John schüttelte den Kopf."Das wird es kaum geben. Wir lesen alles vorher durch, ehe es abgeht. Weisst du,Johanna, dein flotter <strong>St</strong>il ist gefragt, deine spannende Schreibe, die Geschwindigkeit,aber nicht, was du selber denkst! Verstehst du? Du bist für uns eine Kamera, einAufzeichnungsgerät, mehr nicht.""Nun, nun!" Heinrich hob wieder begütigend die Hand. "Lasst es sie versuchen und jagtsie nicht gleich ins Bockshorn. Es wird ihr schon bei uns gefallen. Na, und dasUngewohnte, " Er lächelte, und Falten bildeten sich in der glatten, hellen Haut um seineAugen. "Ella wird dir schon davon berichtet haben. Aber du gewöhnst dich schnell ein.Weisst du, schliesslich haben die Menschen Jahrtausende lang so gelebt. Glaubst du imErnst, drei Generationen verändern so viel in uns?""Darüber würde ich gerne länger diskutieren" sagte ich und dachte an meine propereGewalttäterin, hinten in der Villa Garbo unter der Kellertreppe."Ella und ich helfen dir gerne, dich bei uns neu heimisch zu fühlen." Er klopfte mirberuhigend auf den Arm und zwinkerte mir zu. Dann erhob er sich. "Sind wir fertig?Johanna sollte anständige Kleider kriegen und etwas zu essen.""Ja." John klopfte noch einmal auf den Tisch. "Johanna, sagen wir, in zwei Tagen, wenndu dich etwas eingefunden hast, beginnst du mit deiner Aufgabe. Morgens bist du beiden Frauen, und von drei bis sechs steht dir dieser Raum hier zur Verfügung!""Ich schreibe aber am besten am Vormittag. Und eigentlich brauchen schreibendeFrauen auch eigene Räume und freie Zeiteinteilung. Was nicht heisst, dass ich nichthelfen will. Ich bin gerne draussen und würde mich freuen, zum Beispiel mit auf dieJagd zu gehen. Ich bin ziemlich treffsicher!""Frauen jagen bei uns nicht. Gut, wenn dich Laura am Herd nicht stört, kannst duvorläufig vormittags hier hinein."Johns gütiges Lächeln war längst aus seinem Gesicht gewichen, Heinrich lehnte sichneben mir weit aus der Runde und hielt sich die freie Hand vor den Mund, <strong>als</strong> müsse ersich einen unsichtbaren Bart wieder und wieder zurechtkraulen. Der Alte am Fensterstand bereits auf, und auch einige der Männer auf den Bänken machten sich lachend

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