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Das Buch der Geister

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erkennen, was ihnen noch an Reinheit fehlt, um jenen Zweck zu erreichen. Darum<br />

unterziehen sie sich freiwillig allen Wechselfällen des leiblichen Lebens und verlangen<br />

selbst diejenigen, welche sie am schnellsten zum Ziele führen können.<br />

Darum wun<strong>der</strong>t man sich mit Unrecht, den Geist nicht <strong>der</strong> angenehmsten Existenz<br />

den Vorzug geben zu sehen. Jenes Leben ohne Leid kann er in seinem noch unvollkommenen<br />

Zustande nicht genießen, aber er ahnt es und um zu demselben zu<br />

gelangen, strebt er nach Besserung.<br />

Haben wir übrigens nicht täglich Beispiele solchen Wählens vor Augen? Der<br />

Mensch, <strong>der</strong> einen Teil seines Lebens ohne Ruh und ohne Rast sich abarbeitet, um<br />

zum Wohlstand zu gelangen, - was ist das an<strong>der</strong>es als eine Aufgabe, die er sich<br />

selbst auferlegt im Hinblick auf eine bessere Zukunft? Der Soldat, <strong>der</strong> sich zu<br />

einem gefährlichen Auftrag meldet, <strong>der</strong> Reisende, <strong>der</strong> sich nicht geringeren Gefahren<br />

im Interesse <strong>der</strong> Wissenschaft o<strong>der</strong> seiner eigenen Bereicherung aussetzt,<br />

was sind auch das wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>es, als freiwillig übernommene Prüfungen, die<br />

später Ehre und Nutzen einbringen sollen? Was unterzieht sich und setzt sich <strong>der</strong><br />

Mensch nicht allem aus für sein Interesse o<strong>der</strong> seinen Ruhm? Ist nicht jedes Examen<br />

auch eine Prüfung, <strong>der</strong> man sich freiwillig unterwirft, in <strong>der</strong> Aussicht, in seiner<br />

erwählten Laufbahn vorwärts zu kommen? Zu einer hervorragenden gesellschaftlichen<br />

Stellung in den Wissenschaften, Künsten, <strong>der</strong> Industrie gelangt keiner,<br />

<strong>der</strong> nicht die Reihenfolge <strong>der</strong> untergeordneten Stellungen durchmacht, welche<br />

ebenso viele Prüfungen bedeuten. So ist das Menschenleben gleichsam die Durchzeichnung<br />

(calque) des Lebens <strong>der</strong> <strong>Geister</strong>: im Kleinen finden wir darin überall<br />

dieselben Wechselfälle. Wenn wir somit im Leben oft die härtesten Prüfungen<br />

wählen, um zu einem höheren Ziel zu gelangen, warum sollte <strong>der</strong> Geist, <strong>der</strong> weiter<br />

blickt als <strong>der</strong> Leib und für den das Leibesleben nur ein flüchtiger Augenblick ist,<br />

nicht eine beschwerliche und mühevolle Existenz wählen, wenn sie ihn zu einer<br />

ewigen Seligkeit führen muss? Wer da sagt, dass, wenn <strong>der</strong> Mensch die Wahl<br />

hätte unter seinen Existenzen, er ein Fürst o<strong>der</strong> Millionär zu werden verlangen<br />

würde, <strong>der</strong> gleicht den Kurzsichtigen, die nur sehen, was sie mit Händen greifen<br />

o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>n, die, wenn man sie fragt, was sie am liebsten werden wollen, antworten:<br />

Pastetenbäcker o<strong>der</strong> Zuckerbäcker.<br />

So sieht <strong>der</strong> im nebligen Talgrund dahinschreitende Wan<strong>der</strong>er we<strong>der</strong> die<br />

Länge noch die äußersten Punkte seines Weges, gelangt er aber auf die Höhe des<br />

Berges, so überschaut er den durchlaufenen und den ihm noch bevorstehenden<br />

Weg. Er sieht das Ziel und die Hin<strong>der</strong>nisse, die noch zu überwinden sind, und<br />

kann jetzt mit mehr Sicherheit überlegen, was er zu tun hat. Der inkarnierte Geist<br />

gleicht dem Wan<strong>der</strong>er am Fuße des Berges; ist er aber entledigt von den irdischen<br />

Banden, so überblickt er alles, wie jener, <strong>der</strong> auf dem Gipfel steht. Des Wan<strong>der</strong>ers<br />

Zweck ist die Ruhe nach <strong>der</strong> Ermüdung, des Geistes Zweck die höchste Glückseligkeit<br />

nach den Trübsalen und den Prüfungen.<br />

Alle <strong>Geister</strong> sagen aus, dass sie im herumwan<strong>der</strong>nden Zustande nur suchen,<br />

forschen. beobachten, um ihre Wahl zu treffen. Besitzen wir nicht ein Abbild davon<br />

in unserem leiblichen Leben? Suchen wir nicht oft jahrelang die Laufbahn, für<br />

die wir uns dann endlich frei entscheiden, weil wir sie für die geeignetste halten,<br />

um zu unserem Ziele zu gelangen? Geht es auf <strong>der</strong> einen nicht, so wählen wir eine<br />

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