[Begrüßung Breuer] - Bundesministerium für Arbeit und Soziales
[Begrüßung Breuer] - Bundesministerium für Arbeit und Soziales
[Begrüßung Breuer] - Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
33<br />
der 90er Jahre wird vermehrt diskutiert, inwieweit dieser ressourcentheoretische<br />
Zugang der Heterogenität von Lebenslagen überhaupt gerecht werden kann. Auch<br />
wenn Einkommensarmut durchweg eine wesentliche Dimension <strong>für</strong> eingeschränkte<br />
gesellschaftliche Teilhabe ist, reicht ihre Betrachtung nicht aus, um differenzierte Aus-<br />
sagen zur Unterausstattung <strong>und</strong> Unterversorgung in anderen Bereichen einer Lebens-<br />
lage daraus abzuleiten. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> erfuhr das in den 20/30er Jahren von<br />
Otto Neurath (1931) entworfene <strong>und</strong> den 60/70er Jahren von Gerhard Weisser (1956,<br />
1969) 16 <strong>und</strong> Ingeborg Nahnsen (1975) erweiterte Lebenslagenkonzept eine Renais-<br />
sance. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen nicht mehr ausschließlich die verfüg-<br />
baren Ressourcen, die ein bestimmtes Versorgungsniveau ermöglichen, sondern<br />
zugleich der Handlungsspielraum, der sich Personen auf Gr<strong>und</strong> dieser Versorgungs-<br />
lagen eröffnet oder verschließt. Aus den Ressourcen, die eine bestimmte Lebenslage<br />
sozusagen verursachen, kann eben nicht unmittelbar auf Folgen dieser Lebenslage <strong>für</strong><br />
das weitere Handeln geschlossen werden. So muss sich etwa aus einer durch<br />
Einkommensarmut gekennzeichneten Lebenslage nicht unmittelbar auch ein einge-<br />
schränkter Handlungsspielraum <strong>für</strong> die Nutzung von Ges<strong>und</strong>heitsdiensten ergeben.<br />
Der Wert einer Lebenslage resultiert aus dem Handlungsspielraum, den „die äußeren<br />
Umstände“ <strong>für</strong> die Befriedigung der menschlichen Interessen bereitstellen (Weisser<br />
1956). Um die sozialstrukturellen Bedingungen, die den Rahmen zur Wahrnehmung<br />
von sozialen Chancen abdecken, empirisch fassen zu können, hat Nahnsen (1975),<br />
den „Spielraum“ in fünf (fiktive) „Einzelspielräume“ zergliedert. Bei den von ihr entwor-<br />
fenen Einzelspielräumen handelt es sich um den Versorgungs- <strong>und</strong> Einkommens-<br />
spielraum, Kontakt- <strong>und</strong> Kooperationsspielraum, Lern- <strong>und</strong> Erfahrungsspielraum,<br />
Muße- <strong>und</strong> Regenerationsspielraum <strong>und</strong> Dispositions- <strong>und</strong> Partizipationsspielraum.<br />
Das Erklärungspotenzial des so erweiterten Lebenslagenkonzeptes ergibt sich daraus,<br />
dass durch die Interdependenz der Einzelspielräume der Lebenslage nicht nur die<br />
Wirkung von sozialstaatlichen Interventionen, sondern auch das private, nicht profes-<br />
sionelle Handeln, realitätsnäher interpretiert werden kann. Aber gerade an diesen<br />
Interdependenzen scheiterte bislang die Operationalisierung von Merkmalen <strong>für</strong> empi-<br />
rische Studien.<br />
Der übereinstimmende Kern der unterschiedlichen Lebenslagenkonzepte beinhaltet<br />
nach unserem Verständnis vier Aspekte: a) Lebenslagenansätze sind bezogen auf die<br />
verschiedenen strukturellen Ebenen der Gesellschaft als Mehrebenenmodelle ange-<br />
legt. b) Entgegen rein ökonomischen Ansätzen erheben sie den Anspruch der Multi-<br />
dimensionalität. c) Lebenslagen stehen damit auch quer zu den Auseinandersetzungen<br />
um objektive versus subjektive oder materielle versus immaterielle Dimensionen von<br />
Unter- oder Überversorgung. d) Schließlich können Lebenslagen nicht einfach in<br />
16 Thiemeyer (1963) gibt einen guten Einblick zur Verortung des Lebenslagenkonzeptes<br />
innerhalb der sozialökonomischen Diskussion der 60er Jahre.