DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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auf diesem Gebiet." 36 Städtischer Sozialwohnungsbau existierte in Luzern nicht. Dafür<br />
lancierte der Stadtrat 1919 aus "volkswirtschaftlichen" und "ethischen" Motiven ein<br />
karitatives Projekt im Untergrund. Er kaufte ein Grundstück in der Sagenmatt und gab es der<br />
Quartierbevölkerung parzellenweise als Pflanzland ab. 37 Ein anderes "sozial" motiviertes<br />
städtisches Projekt war Ende 19. Jh. gescheitert. Mit der Erstellung eines neuen<br />
Schlachthauses in der unteren Sentimatte hatte der Stadtrat im Untergrund ein Beispiel<br />
mustergültigen Bauens geben wollen. 38 Der Aufforderung des um eine Verbesserung des<br />
Renommees der Strasse besorgten Quartiervereins Bernstrasse 1916, Liegenschaften an der<br />
Bernstrasse zu erwerben und Beamte einzumieten, kam der Stadtrat nicht nach. 39<br />
Vom genossenschaftlichen Wohnungsbau profitierte der Untergrund verhältnismässig spät<br />
und nur am Rande. Die ersten Luzerner Genossenschaften stützten sich auf standesbewusste,<br />
gut organisierte Berufsgruppen. Die 1891 gegründete "Genossenschaft für billige<br />
Wohnungen" plante Wohnungen für Beamte der Gotthardbahn. Zwei Drittel der 264<br />
Mitglieder der Eisenbahner-Baugenossenschaft (EBL) waren 1910 SBB-Beamte, und in den<br />
Wohnungen der 1924 gegründeten Allgemeinen Baugenossenschaft Luzern (ABL) lebten<br />
1929 bei total 297 Mietern ganze acht Fabrikarbeiter. Erst 1928-1930, nachdem im<br />
Moosquartier bereits 248 Wohnungen vermietet waren, baute die ABL für minderbemittelte<br />
Arbeiter 33 bescheidene Unterkünfte auf Sagenmatt und 16 an der Bernstrasse. Die Stadt<br />
unterstützte den genossenschaftlichen Wohnungsbau in geringem Mass erst ab Mitte der 20er<br />
Jahre. 40<br />
1891 wohnten noch drei Viertel aller Eigentümer eines Hauses an der Baselstrasse (total 82<br />
Häuser) in ihrem Besitztum. Ihr Anteil an den Steuerpflichtigen der Strasse betrug 16,2%,<br />
was etwa dem städtischen Durchschnitt mit 17,3% entsprach (tiefster Anteil im Moosquartier<br />
mit weniger als 10%). 1897 lebte im Untergrund in jedem siebten Haus der Eigentümer allein,<br />
in knapp der Hälfte der Häuser waren die Mieter unter sich, und in 37,8% wohnten Mieter<br />
und Eigentümer unter einem Dach. 41 Mit der Verschlechterung des Sozialprestiges des<br />
Quartiers und der sinkenden Lebensqualität zogen aber seit den 90er Jahren mehr und mehr<br />
an der Baselstrasse wohnhafte Hausbesitzer weg: Von 59 im Jahr 1890 sank ihre Zahl auf 35<br />
1910 (<strong>1920</strong>: 34). Tendenziell bedeutete dies eine Verminderung der sozialen Kontrolle im<br />
Wohnbereich. Ein anderes Instrument der Vermittlung kleinbürgerlichen Lebensstils, der<br />
philanthropische Wohnungsbau mit seinen restriktiven Hausordnungen (z.B. Verbot von<br />
Schlafgängern), fehlte im Untergrund gänzlich. 42 Einschneidenden disziplinarischen Einfluss<br />
auf das Sozialverhalten bis hinein in die häusliche Privatsphäre übte hingegen der<br />
Quartierverein Bernstrasse aus (siehe Kap. 9.2.).<br />
36 ZVB 8/28.2.<strong>1920</strong>.<br />
37 B.u.A. StR. 6.12.1919.<br />
38 B.u.A. StR. vom 19.1.1898.<br />
39 Prot. Quartierverein Bernstrasse 30.8.1916.<br />
40 Kopp (1950), S. 424. 50 Jahre Allgemeine Baugenossenschaft Luzern.<br />
41 Pietzcker (1898), S. 54 und 61.<br />
42 Fritzsche (1986), S. 63-64.<br />
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