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DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur

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Im kirchlichen Vereinswesen kam es gegen Kriegsende zu bedeutenden organisatorischen<br />

Änderungen. Pfarrer Bossard von der Pfarrei St. Paul (Obergrund) erkannte das<br />

Einflusspotential, das in der Schaffung katholischer Laienorganisationen in den einzelnen<br />

städtischen Pfarreien selber lag. So trieb er - zum Teil gegen heftigen Widerstand der<br />

bisherigen Vereinsspitzen - die Dezentralisierung des gesamtstädtisch organisierten<br />

kirchlichen Vereinswesens vehement voran. 1916 gründete er einen Mütterverein (200<br />

Mitglieder), <strong>1920</strong> eine Jungfrauen- und eine Mädchenkongregation. 318 In einem Schreiben<br />

Bossards vom Februar 1921 an den Bischof in Solothurn ist Legitimationsdruck für sein<br />

Vorprellen spürbar: "Alle Mittel" müssten benutzt werden, so Bossard, um das geistliche<br />

Leben in den Pfarreien, in denen es viele Protestanten und "sehr viele" Sozialisten gebe, zu<br />

heben. Nachdem nun auch der Arbeiterinnenverein "parochial" organisiert sei, stehe einer<br />

Verdreifachung der Mitgliederzahl innert Monatsfrist nichts mehr im Wege. Bossard war ein<br />

Dorn im Auge, dass die Pfarrer bislang "überhaupt keine Fühlung" zu den Vereinen gehabt<br />

hatten. 319 Mit der Gründung einer Jünglings- und Knabenkongregation in der Pfarrei St. Paul<br />

gab er schliesslich noch den Anstoss zur Auflösung des städtischen katholischen<br />

Jünglingsvereins mit über 600 Mitgliedern. 320 Der "Centralschweizerische Demokrat"<br />

berichtete 1919, Geistliche bemühten sich, im Untergrund eine Knabengarde zu schaffen. 321<br />

Die historischen Wurzeln der christlichsozialen Partei liegen in den katholischen<br />

Arbeitervereinen. Sie war als "Bollwerk" gegen die linke Arbeiterbewegung konzipiert, wie<br />

verschiedene christlichsoziale Politiker in ihren Festschriften betonen. 322 Christlichsoziale<br />

Arbeiterpolitik im Zeichen von Ständeversöhnung und Volksgemeinschaft sollte dem<br />

klassenkämpferischen Sozialismus - die SPS hatte sich mit dem marxistischen Programm von<br />

1904 und den Statuten von 1911 radikalisiert - den Nährboden entziehen und die Arbeiter in<br />

den Schoss katholischer Organisationen zurückholen. 323 Die christlichsoziale Partei, gemäss<br />

Gründungsstatuten vom Januar 1911 eine "eigene politische Gruppe innerhalb der<br />

konservativen Partei der Stadt Luzern", setzte ihre sozialreformerischen Akzente - anders als<br />

die v.a. Bauernpolitik betreibenden Konservativen - im industriellen Bereich. Sie strebte eine<br />

Humanisierung der Wirtschaft in christlichem Sinn an, unter Beibehaltung des<br />

Privateigentums und der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. 324 Die Christlichsozialen<br />

318 70 Jahre Pfarrei St. Paul, S. 20.<br />

319 Diözesanarchiv Solothurn. Die Zahl der Protestanten in der Stadt hatte sich von 1900 bis <strong>1920</strong> beinahe<br />

verdoppelt (von 4'933 auf 9'530).<br />

320 Festschrift Kirche St. Karl, S. 49.<br />

321 CD 11.7.1919.<br />

322 Etwa in "60 Jahre in der christlichsozialen Bewegung", einem Interview mit Andreas Marzohl im<br />

"Zentralschweizerischen Volksblatt"; weiter Müller-Marzohl (1990, unveröffentlichtes Typoskript), der die<br />

Erfolge der christlichsozialen Bewegung in Luzern mit jenen der Sozialisten in andern Landesteilen vergleicht;<br />

schliesslich Widmer (o.J.).<br />

323 Gruner (1977), S. 127.<br />

324 LVB 1.8.1919. Der Bauernstand wurde dazu angehalten, seine "bevorzugte Lage gegenüber andern Ständen"<br />

nicht durch materialistische Wirtschaftspolitik auszunützen.<br />

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