DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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SCHLUSSWORT<br />
Ich habe versucht, wichtige Aspekte der spezifischen Entwicklung des Luzerner Untergrunds<br />
nachzuzeichnen. Sie lassen sich meiner Ansicht nach zur These verdichten, dass das<br />
Untergrundquartier im konjunkturellen Wachstumsschub der Jahrhundertwende von den<br />
gesellschaftlich positiv bewerteten, materiellen wie immateriellen Facetten der<br />
Modernisierung abgekoppelt wurde.<br />
Im Vergleich mit den kräftig expandierenden Neubaugebieten im Süden Luzerns - und dem<br />
Zürcher Arbeiterquartier Aussersihl - wies der Untergrund eine viel geringere<br />
demographische Wachstumsdynamik auf. 357 Auch die höhere Durchmischung der<br />
Bevölkerungsstruktur im Untergrund - in den 90er Jahren entwickelte er sich zum<br />
Auffangbecken für<br />
Fremdarbeiter - hob ihn von den Neubaugebieten im Süden der Stadt ab.<br />
Die bauliche Erschliessung vollzog sich im Untergrund organischer als in den in kurzer Zeit<br />
aus dem Boden gestampften neuen Wohnquartieren im Süden der Stadt. Alte und jüngere<br />
Bausubstanz grenzten aneinander. Kollektive Bauformen - z.B. genossenschaftlicher<br />
Wohnungsbau, der zu einer Aufwertung des Sozialprestiges des Quartiers hätte beitragen<br />
können - existierten im Untergrund nicht; die Wohnqualität war deutlich schlechter als in den<br />
übrigen Quartieren.<br />
Der Wandel der Erwerbsstruktur förderte die sozialräumliche Segregation. Das Spektrum der<br />
Berufe des 2. Sektors verengte sich zusehends im Zuge der Fabrikindustrialisierung, die für<br />
eine wachsende Zahl von Beschäftigten ähnliche Arbeitsbedingungen schuf. Der 1890 noch<br />
intakte kleingewerbliche Quartiercharakter schwächte sich bis <strong>1920</strong> zugunsten einer zum Teil<br />
proletarischen Lebenswelt ab. Die autarke, auf Grundbedürfnisse ausgerichtete<br />
Dienstleistungsstruktur - z.B. die überdurchschnittliche Dichte an Wirtschaften - war für ein<br />
Arbeiterquartier typisch. Anhand des bedeutendsten Fabrikbetriebs im Untergrund (Schindler)<br />
wurde die soziale Polarisierung im 20. Jh. mit dem Höhepunkt um Kriegsende dargestellt, und<br />
wie Schindler den schwelenden Klassenkonflikt betriebsintern durch eine geschickte<br />
Arbeiterstamm-Politik regulierte.<br />
Die Konzentration negativer Landmarken im Quartier und der Bahnbau akzentuierten die<br />
soziale Segregation. Die materiellen Ressourcen waren im Untergrund breiter gestreut als<br />
gesamtstädtisch. Quartierintern bestanden aber deutlich differenzierte, kleine Sozialräume:<br />
Die Innere Baselstrasse und die Bernstrasse trennte die ausgeprägteste soziale Kluft. Eine<br />
Oberschicht bzw. gesellschaftliche Elite im Sinn eines Bildungs- und Besitzbürgertums, wie<br />
sie in anderen Quartieren existierte, fehlte im Untergrund weitgehend. Die "Quartierelite"<br />
bildeten v.a. Ladenbesitzer und Gewerbetreibende.<br />
357 Künzle (1990), S. 46.<br />
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