DER LUZERNER UNTERGRUND 1850-1920 - Terminus Textkorrektur
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TEIL II: POLITISCHE UND SOZIOKULTURELLE IMPLIKATIONEN DES<br />
GESELLSCHAFTLICHEN WANDELS SEIT <strong>DER</strong> JAHRHUN<strong>DER</strong>TWENDE<br />
6. Politische Veränderungen<br />
6.1. Wandel der Parteienlandschaft und der politischen Agitation<br />
Sein Status als ehemaliges Hintersässengebiet prädestinierte den Untergrund zur liberalen<br />
Hochburg. Die liberale Verfassung von 1831 hatte das städtische Patriziat in politischer<br />
Hinsicht endgültig entmachtet. Die Präsenz liberaler Politiker drückte der St.-Jakobs-Vorstadt<br />
ihren Stempel auf.<br />
Die politische Konstellation Luzerns prägte in der 2. Hälfte des 19. Jh. der Gegensatz<br />
zwischen der liberalen Regierungspartei (FdP bzw. in Luzern liberale Partei) und der<br />
konservativen Opposition. In den 90er Jahren griff mit der entstehenden Arbeiterbewegung<br />
eine dritte Kraft in die städtische Politik ein. In den durch eine Gründungswelle von<br />
Gewerkschaften, Meisterorganisationen und eine wachsende Zahl von Lohn- und<br />
Streikbewegungen geprägten 80er Jahren hatte sich in der liberalen Partei ein linker Flügel als<br />
Interessenvertreter der Lohnabhängigen mit den führenden Grütlianern Josef Albisser und<br />
Franz Josef End an der Spitze einerseits, ein Handwerker- und Gewerbeflügel andererseits<br />
herauskristallisiert. 155 Etappen der institutionellen Verselbständigung der Arbeiterbewegung<br />
markierten die Konstituierung des "Demokratischen Vereins" (1893), die Gründung einer<br />
eigenen Zeitung ("Demokrat") 1893 und schliesslich der "Demokratischen und<br />
Arbeiterpartei", der direkten Vorgängerin der SP. 156 Im ersten Jahrzehnt des 20. Jh. ergänzten<br />
die Arbeiterunion (1901) und das Arbeitersekretariat (1905) die Institutionen der<br />
Arbeiterbewegung, deren harter Kern das Verkehrspersonal war.<br />
In den Wahlen der 90er Jahre erzielten die Kandidaten der Arbeiterbewegung in den<br />
gewerblich geprägten Quartieren der linken Stadtseite Achtungserfolge. Bei den<br />
Grossratswahlen 1895 z.B. erhielten sie in den Quartieren Moos und Obergrund fast so viele<br />
Stimmen wie die liberalen Kandidaten (SP-Kandidaten: 45%-47%). Im Bruch und im<br />
Untergrund dominierten diese noch deutlicher (liberale Kandidaten: 54%-73%; SP-<br />
Kandidaten: 26%-40%). Allerdings kam das gute Resultat mit Schützenhilfe der<br />
konservativen Partei zustande, welche die Arbeitervertreter End und Albisser portiert hatte,<br />
um die Liberalen zu schwächen. Der "Demokrat" interpretierte das Wahlresultat als<br />
"gewaltigen" Protest gegen die "Ausschliesslichkeit des liberalen Herrenrings". 157<br />
155 Franz Josef End (<strong>1850</strong>-1927), Malermeister, Präsident des Grütlivereins, Grossrat und Grossstadtrat. Josef<br />
Albisser (1868-1943), Sohn eines liberalen Luzerner Lehrers, Advokat mit Anwaltsbüro in Luzern, das im<br />
Volksmund auch "Roter Vatikan" genannt wurde. Während Jahrzehnten beeinflusste Albisser die Politik der SP<br />
massgeblich. Grossrat und erster SP-Vertreter in der städtischen Exekutive 1915, Präsident des<br />
Eisenbahnerverbandes der Schweiz, der SPS 1902 und ab 1917 des Eidgenössischen Versicherungsgerichts.<br />
156 Meier (1983), S. 83ff. Albisser, Geschichte der Luzerner Arbeiterbewegung, in: AB 6.4.1927.<br />
157 Wahl- und Abstimmungsakten ab 1891 (SAL B 3.4/A1.1.).<br />
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